Digital ist nicht alles: Wiens neue „Traviata“
Was bringt ein noch so ausgeklügeltes, unkonventionell durchdachtes Konzept, wenn es von den Darstellern nur referiert, kaum glaubhaft gelebt wird?
Was bringt ein noch so ausgeklügeltes, unkonventionell durchdachtes Konzept, wenn es von den Darstellern nur referiert, kaum glaubhaft gelebt wird?
Digitalismus als Geißel der gegenwärtigen Welt, aus der nur der Tod in eine bessere Zukunft führt? So ließe sich das Finaltableau dieser von Simon Stone für die Opéra national de Paris erdachten „La Traviata“-Inszenierung deuten, die seit dem Wochenende zum Repertoire der Wiener Staatsoper zählt, damit frühere Regien dieser populären Verdi-Oper ablöst. Ob sie sich als repertoiretauglich erweisen, den berühmten Nerv des Publikums treffen wird, das auch bei dieser Premiere wegen der Corona-Beschränkungen diese Produktion nur via Bildschirm mitverfolgen konnte?
Ein in Bühnenmitte platzierter, einem LED-Würfel nachempfundener, drehender Kubus dominiert das Bühnenbild. Darauf werden stetig unterschiedliche Bilder projiziert, auf denen sich auch Chat-Nachrichten mitverfolgen lassen. Schließlich spielt diese „Traviata“ nicht wie im Original in Paris und Umgebung Mitte des 19. Jahrhunderts, sondern im Paris der Gegenwart. Nicht Eleganz, sondern Zeitgeist steht im Fokus dieser sich bewusst dem intimen Charme von Verdis differenzierter Musik meist verweigernden Regiearbeit. Violetta Valéry erscheint als Außenseiterin der Gesellschaft: ein ganz der virtuellen Welt ausgeliefertes It-Girl, eine Influencerin. Damit will Stone zeigen, dass die Gesellschaft sich grundsätzlich nicht geändert, sondern sich bestenfalls der Blickwinkel verschoben hat. Waren früher die Bürger dem Adel unterworfen, sehen sich heute Migranten gewissermaßen zu Exoten einer Gesellschaft, die alles unternimmt, um sie nicht hochkommen zu lassen, gestempelt.
Mistkübel, eine Dönerbude, ein Traktor: Das alles sind Schauplätze dieser zuweilen schrillen Inszenierung. Am Ende findet man sich in einem karg möblierten, klinisch reinen Krankenzimmer, aus dem Violetta schließlich doch noch ausbrechen kann, um zwischen zwei Wänden in das Licht einer neuen Welt zu schreiten. Eine Erlösungsmetapher, gepaart mit Kritik an einer der Technik und den Medien längst ausgelieferten Gesellschaft, die, wie eine Episode zeigt, auch von einem von Überheblichkeit gesteuerten, brutalen Clan-Denken unheilvoll infiziert ist.
Aber was bringt ein noch so ausgeklügeltes, unkonventionell durchdachtes Konzept, wenn es von den Darstellern nur referiert, kaum glaubhaft gelebt wird? Wäre sie vom blassen, im Haus am Ring debütierenden Dirigenten Giacomo Sagripanti wirklich geführt worden, hätte die stimmlich exzellente Pretty Yende ihr Violetta-Schicksal berührender, musikalisch exakter vorführen können. Wie wenig Sinn es macht, eine Partie anzunehmen, für welche die vokalen Voraussetzungen nicht vorliegen, zeigte Juan Diego Flórez als für diese Aufgabe eingesprungener Alfredo. Stimmliche Kraft alleine wiederum genügt nicht, um eine Partie facettenreich darzustellen, wie Igor Golovatenkos ziemlich ungeschlachter Vater Germont demonstrierte. Untadelig wie unauffällig die übrigen Comprimarii. Gut studiert die Staatsopernchoristen.
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