Mal zu laut, mal zu leise

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Bei den diesjährigen Bregenzer Festspielen überwiegen die Unterschiede.

Kaum unterschiedlicher hätten die Opernneuproduktionen der diesjährigen Bregenzer Festspiele ausfallen können: Benjamin Brittens Death in Venice - als Koproduktion mit dem Aldeburgh Festival, der Staatsoper Prag und der Opéra de Lyon - ging in einer mit sparsamen Mitteln arbeitenden, eleganten, aber auch zuviel Dezenz walten lassenden Produktion über die Bühne des Festspielhauses, während am Tag darauf das Spiel von Giacomo Puccinis Oper Tosca auf der riesigen Seebühne seinen Lauf nahm - effekthascherisch plakativ vor allem die brutalen Seiten der Geschichte handfest hervorkehrend.

Auge dominiert die Bühne

Das Bühnenbild (Johannes Leiacker) zur Puccini-Oper wird von einem riesigen Auge dominiert: im ersten Akt ist es Teil jenes Gemäldes, an dem der Maler Cavaradossi arbeitet, gleichzeitig aber auch Sinnbild für den Überwachungsstaat, hinter dem Baron Scarpia steht - das heruntergeklappte Auge stellt deshalb auch die Spielfläche des zweiten Akts, Scarpias Arbeitszimmer, dar. Und im letzten Akt, wenn die gigantische Rückwand des Bühnenbildes zurückgeklappt wurde, bleibt nur mehr der Mittelpunkt des Auges übrig - als Zelle für den inhaftierten Cavaradossi und als Zielscheibe für die Schergen, die den Maler hinrichten. Während er, durch einen Stuntman ersetzt, nach seiner "blutigen" Exekution in den See befördert wird, wird auf Toscas Todessprung in Natura verzichtet - ihren Selbstmord sieht man als Projektion: sie entschwindet "in die Tiefe" des allgegenwärtigen Auges. Nachvollziehbare symbolische Wirkung kann man diesem Bühnenbild nicht absprechen, bei Regisseur Philipp Himmelmann stellte sich aber der Eindruck ein, dass er der Musik nicht traut, deshalb diese szenisch noch zu "toppen" versuchte.

Bilderflut überrennt Musik

Beispiel erstes Finale: während des Te Deums fährt ein riesiges Kreuz aus dem Wasser, in der Augenöffnung erscheint der versammelte Klerus. Doch damit nicht genug reißt sich Baron Scarpia lüstern das Hemd vom Leib, während an Gefangenen ein Massaker angerichtet wird. Die Bilderflut überrannte hier die Musik vollständig, wie überhaupt Überaktionismus vorherrschte, wobei die Frage erlaubt sein muss, ob sich "moderne Menschen", wie sie hier gezeigt werden, wirklich ständig auf den Boden werfen oder auf einen Tisch legen? Ein solches Bewegungsvokabular wirkt in keiner Weise realistisch, sondern einzig übertrieben.

Die Verstärkungsanlage - die hervorragend disponierten Wiener Symphoniker begleiten aus dem Festspielhaus und doch hat man auf der Seetribüne den Eindruck, mitten im Orchester zu sitzen - vollbringt zwar wahre Wunder im räumlichen Hören, doch auch die Klangeffekte verdeckten zuweilen die Musik, zumal es schien, dass Maestro Ulf Schirmer gerade solche Passagen besonders breit im Tempo auf Kosten des musikalischen Flusses nahm. Zoran Todorovich war ein Cavaradossi mit voller Mittellage und gestemmten Höhen, der erst spät zu gesanglichen Feinheiten fand, und Gidon Saks ein grobschlächtiger, die Grenzen seiner dramatischen Expansion übersteigender Scarpia. Und die Tosca selbst? Nadia Michael, zum Sopran gewechselter Mezzosopran, gab sich exzentrisch im Spiel, aber auch vibratoreich und höhenscharf im Gesang. Sie verfügt zwar über alle Höhenanforderungen für diese Rolle, scheint sie aber mehr technisch als ausdrucksimpulsiv zu bewältigen.

Fast zu schön inszeniert

Ganz das Gegenteil zu dieser Tosca war am Tag zuvor die Eröffnungsoper im Festspielhaus: Benjamin Brittens Tod in Venedig, nach der Novelle von Thomas Mann, eine Oper, die fast zeitgleich mit dem berühmten gleichnamigen Film von Luchino Visconti entstanden ist. Wie so viele Werke hat Britten auch seine letzte Oper speziell für seinen Lebenspartner, den Tenor Peter Pears, geschaffen - die Geschichte um den Dichter Gustav von Aschenbach, der nach Venedig reist und in eine obsessive Liebe zu dem polnischen Jungen Tadzio verfällt, während in der Stadt die Cholera ausbricht, an der der Dichter schließlich stirbt - weder szenisch noch hinsichtlich einer über weite Strecken äußerst kargen und reduzierten Musiksprache ein leicht zu realisierendes und rezipierendes Werk. In der beim britischen Aldeburgh Festival bereits gezeigten Produktion hatte Yoshi Oida in einem Einheitsbühnenbild von Tom Schenk inszeniert. Ein Wasserbecken mit Holzstegen symbolisiert den Handlungsort, der sonst nur von wenigen Requisiten näher präzisiert wird. In diesem Dekor und mit wunderbaren Kostümen von Richard Hudson, hat der Regisseur den Ablauf elegant arrangiert, immer wieder entstehen schöne Bilder - fast zu schöne Bilder, möchte man meinen, denn von den wirklichen Leidenschaften, von der Morbidität Venedigs und von manchen grotesken Aspekten des Werkes bemerkte man in dieser Produktion allzu wenig.

Handlung gleitet vorbei

In einer gewissen Distanziertheit gleitet die Handlung am Zuseher vorbei - und daran konnte auch der großartige Tenor Alan Oke in der Hauptpartie nichts ändern. Seine Gesang war von großer Präzision, von Differenziertheit und bemerkenswerter musikalischer Souveränität geprägt, sein Spiel immer das eines distanzierten Gentleman. Wandlungsfähigkeit demonstrierte Peter Sidhom in den sieben verschiedenen Rollen der ständigen "Verführer" Aschenbachs. Will Towers als Apollo agierte ebenso mit Zuverlässigkeit wie die solistisch hervortretenden Mitglieder des Britten Festival Chorus. Körperliche Bewegungen von Anmut steuert das Tanztheater Nürnberg bei, darunter auch Pavel Povrazník als Tadzio. Brittens Partitur wurde von den Wiener Symphonikern unter Paul Daniel mit großer Akkuratesse, filigraner kammermusikalischer Arbeit und klangfarblich sehr variiert umgesetzt - aber auch von orchestraler Seite schien es ähnlich der Szene, als bliebe die Interpretation etwas zu sehr dem rein Ästhetischen verhaftet, von vereinzelten dramatischen Steigerungen im Orchester abgesehen.

Benjamin Brittens Tod in Venedig steht nur noch dreimal bis 5. August auf dem Spielplan der Bregenzer Festspiele, Giacomo Puccinis Tosca - mit wechselnden Besetzungen - oftmals bis 19. August - und als Wiederaufnahme auch bei den Bregenzer Festspielen 2008.

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