Ein Ereignis namens Marlis Petersen

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Die deutsche Koloratursopranistin dominierte die adaptierten "Hoffmanns Erzählungen“ am Theater an der Wien. Der Intendant führte erstmals Regie.

Im Frühjahr 2010, in der letzten Staatsopernsaison Ioan Holenders, war Marlis Petersen die umjubelte Gestalterin der Titelpartie in der akklamierten Uraufführung von Aribert Reimanns "Medea“. Weltweit feiert die deutsche Koloratursopranistin Erfolge als Lulu, Zerbinetta oder Traviata, mit der sie kommenden März an der Staatsoper gastieren wird. Im neuen "Hoffmann“ im Theater an der Wien ist sie in allen vier Frauen-Hauptrollen zu sehen, verliert bei aller staunenswerten Wandlungsfähigkeit dabei nichts von ihrer eigenen Physiognomie.

Ob sie zuletzt, geradezu diskret, in Luthers Weinstube als Stella die Bühne betrat, die sie zuvor als puppenhafte, virtuos dahin stelzende Olympia, romantisch-verträumteAntonia oder mit ihren Reizen keineswegs geizende Giulietta dominiert hatte: stets frappierte die gestalterische Selbstverständlichkeit, mit der die Petersen diese Aufgaben bewältigt, begleitet von einer makellosen stimmlichen Brillanz, die so rasch ihresgleichen nicht hat.

Eine Version der Urfassung

Wenigstens die Idee, die vier weiblichen Hauptrollen einer Sängerin anzuvertrauen, ist vom ursprünglichen Hoffmann-Konzept von Roland Geyer geblieben. Er plante, "Les contes d’Hoffmann“ in dieser Saison in zwei Serien mit zum Teil verschiedenen Besetzungen zu geben. Nach der im März gezeigten, auf wenig Gegenliebe stoßenden Inszenierung des Hollywood erprobten William Friedkin war plötzlich alles anders. Er wollte partout keinen Adaptionen zustimmen. Der Theater an der Wien-Intendant war damit vor die Wahl gestellt, die für Juli geplante Serie abzusagen oder nach Möglichkeiten zu suchen, diese Hoffmann-Aufführungen doch noch zu retten. Schließlich waren die Verträge mit den Protagonisten längst unter Dach und Fach und die Zeit drängte. Geyer wagte das Unerwartete, setzte sich selbst als Regisseur für diese fünfaktige Operá fantastique, an der er sich bereits während seiner Tätigkeit als Generalsekretär der Musikalischen Jugend Österreichs szenisch versucht hatte, an.

Zusammen mit dem Dirigenten Riccardo Frizza, der die Wiener Symphoniker und den neuerlich fabelhaften Arnold Schoenberg Chor (Einstudierung: Ottokar Prochazka) ungleich lockerer, auch spannungserfüllter führte als im März, erarbeitete er eine der rekonstruierten Urfassung der Oper entsprechende Version. Im Gegensatz zu Friedkin, der krampfhaft versucht hatte, Jacques Offenbachs Hoffmann-Szenerie mit der Welt Dr. Jekylls und Mr. Hydes zusammenzuführen, lässt Geyer (in der etwas altmodischen Ausstattung von Herbert Murauer) in angestammten Milieus spielen: den Olympia-Akt im Theater an der Wien-Figurenkabinett, den Antonia-Akt in einer Künstlergarderobe, den Giulietta-Akt, bei dem er sichtlich Anleihen an Jedermanns Tischgesellschaft genommen hat, in einem italienischen Palazzo.

Skurrilität und Witz, nicht zuletzt ausgedrückt durch die bunten Kostüme (Herbert Murauer), kommen dabei nicht kurz.

Überragende Singschauspielerin

Unterschiedlich genützt werden die Ambientes für die Personenführung. Vor allem der neue Hoffmann, der junge Mexikaner Arturo Chacón-Cruz, der gerne lautstark die Möglichkeiten seines kehligen Tenors zur Schau stellte, wirkte den Abend über steif.Gestisch flexibler und - auch im Vergleich zur März-Serie - stimmlich souveräner Roxana Constantinescu als sich schließlich auf ihn setzende Muse/Niklausse. Oliver Ringelhahn wusste seinem schon damals farblosen Spalanzani keine neue Facetten hinzuzugewinnen. John Relyea fehlte es, wie seinem Vorgänger in diesen Rollen, Aris Agiris, für die vier Bösewichter an glaubhafter Dämonie. Mit erzwungener Stimmgewalt lässt sich solches nicht ausgleichen.

Zumeist untadelig die übrigen Protagonisten. Aber das bevorzugte Interesse dieses Abends galt der exzellenten Singschauspielerin Marlis Petersen, die in dieser Umgebung ihre Vorzüge voll ausschöpfen konnte. Man glaubt ihr die Ankündigung, diese Partien zu Leibrollen zu nehmen.

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