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Nurejew, Beriosowa, Fonteyn

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Die Ballettwochen der Wiener Staatsoper begannen mit Tschai-kowskys „Der Schwanensee“, der — wie bei der Premiere noch unter der Direktion Milloss — in der Choreographie Rudolf Nurejews, frei nach Petipa und Iwanow, gezeigt wurde. Wenn man den jungen gertenschlanken Tartaren mit dem Bardot-Gesichtchen als Prinz Siegfried die Huldigungen seines Hofstaates entgegennehmen sieht, könnte man wirklich glauben, er sei fürstlichen Geblütes. Seine Erscheinung auf der zeitgenössischen Ballettbühne ist einzigartig. Als Tänzer erledigt Nurejew jetzt alles Technische quasi beiläufig, so daß er alle Aufmerksamkeit auf die Rollengestaltung und den Ausdruck konzentrieren kann. Das erhebt seine Leistung in den Rang des Vollkommenen.

Seine Partnerin als Odette-Odile ist die 1932 in Litauen geborene Russin Swetlana Beriosowa, die beim New York City Ballet begann, darnach ins Sadler's Wells Theatre Ballet eintrat und gegenwärtig Primaballerina des Royal Ballet ist. Die hochgewachsene, stattlich-schlanke Beriosowa wirkte auf den deutschen Ballettspezialisten O. F. Regner „wie die Reinkarnatdon des zaristischen Ballerinenidols: von marmorn-pla-

stischer Schönheit und darstellerischem Pathos“. Auch bei der Beriosowa versteht sich alles Technische von selbst, so daß, was die beiden Protagonisten betrifft, die Voraussetzungen für einen großen Festivalabend gegeben waren (in dessen Genuß freilich nicht das Wiener Publikum, sondern die Teilnehmer an einem internationalen Ärztekongreß kamen). Doch auch unser Corps de ballet trug wesentlich zum guten Gelingen bei. Wenn ihm auch noch nicht Brillanz nachgerühmt werden kann, so ist es immerhin so reichhaltig, daß es mit 32 Tänzerinnen (den verschiedenen Gruppen von Schwänen) von fast gleicher Statur und Kondition aufwarten kann. So gerieten der zweite und der vierte Akt recht eindrucksvoll, auch nicht ohne Poesie, wogegen das Fest am Königshof sowohl was die Choreographie der einzelnen folkloristischen Nummern wie auch was die Ausführung betraf weniger befriedigen konnten.

Die Musik zu „Schwanensee“, eine der umfangreichsten Ballettpartituren, erklang im großen neuen Haus zum erstenmal so, wie man es sich wünschte. Die Mitglieder des Niederösterreichischen Tonkünstlerorchesters unter Heinz Wallberg

waren die Ausführenden. Der Primgeiger aber, dem die schwierigen Sold anvertraut waren, verdient unbedingt, im Programm namentlich genannt zu werden.

Der mit Spannimg erwartete Premierenabend am vergangenen Sonntag hinterließ zwiespältige Eindrücke. Straunnskys „Apollon musa-gete“, 1927/28 geschrieben, ist in der Choreographie Balanchines als Standardwerk des Neoklassizismus in die Kulturgeschichte eingegangen. Obwohl das Werk in eben dieser Choreographie, die von John Tarras einstudiert war, dargeboten wurde, waren wir — zumindest während der ersten zehn Minuten — nicht recht glücklich. Ist diese berühmte Choreographie in ihrer Manieriertheit vielleicht schon ein wenig veraltet? Aber Balanchine hat doch immer wieder an ihr gearbeitet! Bekamen wir nicht die Fassung letzter Hand zu sehen — oder hat man die ursprüngliche verdorben? Die Aufführung vom 12. Juni 1928 im Theätre Sarah Bernhard mit Serge Lifar als Solisten hatte jedenfalls das Placet des Komponisten. Was wir auf der Bühne der Staatsoper zu sehen bekamen, entsprach nicht ganz der feierlichen Nüchternheit der Partitur Strawinskys, der zugunsten des reinen Streicherklanges und des deutlichen melodischen Lineaments auf das moderne polychrome Orchester und seine sensuellen Reize verzichtet hat. — Natürlich war Rudolf Nurejew, der die Titelpartie übrigens zum erstenmal tanzte, ein idealer Apoll, der seine drei Musen (Ully Wührer, Gisella Cech und Susanne Kirnbauer) wie ein echter Musenfürst anführte und regierte. Auch die Soli der drei Damen hatten jene kühle Perfektion, die dem Geist dieser Musik entspricht. (Auf die Frage: „Dachten Sie bei der Komiposition ihres Apollo-Balletts an korinthische Säulen?“ antwortete Strawinsky: „Nein, an Streichinstrumente.“)

Hierauf folgte „Etüden“, Ballett und Choreographie von Harald Lander nach Musik von Carl Czerny. — Dieses Werk des Kopenhagener Ballettmeisters ist seit 1948 über viele Bühnen gegangen und wurde 1962 vom Londoner Festival Ballet auch in Wien gezeigt. Die Wiederbegegnung war nicht sehr animierend. Hübsch ist die Idee: die Hohe Schule des Balletts, Stufe um Stufe, vorzuführen, von den fünf Positionen angefangen bis zum brillantvirtuosen Finale, wo alle in großen Sprüngen über die Bühne fegen. Aber im Detail ist das (viel zu lange) Werk wenig interessant. Die negativen Eindrücke werden zunächst von der verdunkelten Bühne ausgelöst, dann

wartet man auf Geistvoll-Parodi-sches oder Originelles, aber es kommt nichts („Epatez — moi!“ pflegte der große Diaghilew zu seinen Mitarbeitern zu sagen). Störend auch die von Szene zu Szene immer lauter und schwülstiger werdende Musik, deren Instrumentierung durch Knu-dage Riisager jeder Originalität ermangelt (die paar polytonalen, absichtlich dissonanten Stellen wirken wie Grimassen). Doch die Solisten und das Corps konnten etwas zeigen, voran Lisi Maar als Ballerina, die zu Recht sehr gefeiert wurde, ferner die sich immer mehr in den ersten Rang vortanzenden Karl Musil, Michael Birkmeyer und Ludwig Musil, die Sylphiden Susanne Kirnbauer, Gisella Cech und Gerlinde Dill (die leider so gewandet Waren, als seien sie der alten „Gartenlaube“ entstiegen), die Gruppe der weißen und der schwarzen Damen usw.

Zum Abschluß: „Marguerite und Armand“ nach dem berühmten Dumasschen Roman „Die Kameliendame“, dessen Personen auf der Opernbühne in „La Traviata“ heimisch sind. Dieses halbstündige Ballett hat der Chefchoreograph und Direktor des Royal Ballets, Sir Frederick Ashton, 1963 eigens für Rudolf Nurejew und Margot Fonteyn, geschaffen. Die von Humphrey Searle arrangierte und instrumentierte Musik von Franz Hszt (Klaviersonate h-Moll und Trauergondelmusik) paßt sehr gut zum Thema und der pathetisch-überhitzten Atmosphäre. Mit diesem Ballett ist das Genre „Ausdruckstanz auf klassischer Grundlage“ um ein gewichtiges Werk bereichert, zumal das unglücklich-verzweifelte Liebespaar die Anteilnahme und Spannung der Zuschauer volle 30 Minuten lang un-gemindert aufrechtzuerhalten

wußte. — Neben diesen beiden bildschönen Tänzern und ergreifenden Darstellern versinkt alles andere als „Beiwerk“. Nur Armands Vater (Karl Musil) vermag sich in zwei Szenen sehr einprägsam zu behaupten. Die Einstudierung leitete Sir Ashtons Mitarbeiter Leslie Edwards. Die schönen Kostüme im Stil der Belle Epoque und die stimmungsvolle Ausstattung schuf Cccil Beaton. Heinz Wallberg und den Tonkünstlern ist die klangschöne und differenzierte Wiedergabe der Musik zu danken (bei der Strawinsky-Kompo-sition empfiehlt es sich, mit Rücksicht auf das große Haus mehr Ton geben zu lassen beziehungsweise einfach etwas lauter zu spielen). Das Klaviersolo in dem Liszt-Ballett exekutierte tadellos Winfried de Hove. Die beiden Protagonisten wurden überaus herzlich gefeiert.

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