6753765-1967_38_04.jpg
Digital In Arbeit

RUDOLF NUREJEW /STAR DER WIENER BALLETTWOCHEN

Werbung
Werbung
Werbung

Im Frühjahr 1956 kam mit seiner Heimattanzgruppe aus dem Südural ein junger Tänzer nach Leningrad zu einem folkloristischen Festival. Er war 17 Jahre alt und hieß Rudolf N ur e j ew. Hier wurde er vom Ballettmeister des Kirow-Thea-ters entdeckt, das die Nachfolge des berühmten zaristischen Marientheaters auch auf dem

Gebiet der Tanzkunst angetreten hatte. Bereits nach drei Jahren trat er als Solist und Partner der berühmten Primaballerina Dudinskaja im Kirow-Ballett auf. Aber er hatte die harte Schule des klassischen Trainings fast zehn Jahre später begonnen als üblich Das prägte seinen eigenwilligen Stil und gab ihm Distanz zu allem, was „Schule“ und „Regeln“ heißt.

Im Sommer des Jahres 1961 fällt die zweite schicksalhafte Entscheidung im Leben Nure-jews: Das Kirow-Ballett ist auf einer Tournee in Paris. Die faszinierende Stadt und das Verlangen nach Freiheit, vielleicht auch das Bedürfnis nach größerem Luxus und persönlicher Un-gebundenheit, bestimmen Nure-jew zu dem einsamen Entschluß, seine Truppe zu verlassen und sich, am 17. Juni, bei der Pariser Polizei zu melden und darnach um Asyl nachzusuchen. — Nure-jew bleibt also im Westen, aber dem Zwang und der strengen Regel des klassischen Ballettkodex ist er nach wie vor unterworfen ...

Er erhält zunächst ein Angebot, ins Ballett des Marquis de Cuevas einzutreten, das damals

schon seine Blütezeit gehabt hat, nimmt an und ist enttäuscht. Doch bald kommen die ersten großen Erfolge: 1962 tritt er, mit Margot Fonteyn, im Londoner „Royal Ballett“ auf und hat die berühmtesten Tänzerinnen als Partnerinnen. Hier macht er auch die ersten Gehversuche als Choreograph: mit dem letzten Akt der „Bayadere“ und dem dreiaktigen Glazunow-Ballett „Raymonda“. Deren ursprüngliche Choreographie — wie die der später von Nurejew erneuerten Ballette „Giselle“, Schwanensee“, „Dornröschen“ und andere — stammen von Marius Petipa, dem Großmeister und Napoleon des klassischen Balletts, der — ein gebürtiger Marseiller — 1847 nach St. Petersburg gekommen war und seit 1862 allmächtiger Maitre de ballet dort war, wo er 1922 auch starb.

Zu ihm und zu seinem Werk bekennt sich Nurejew vorbehaltlos. Das heißt: zur klassiscri-romantischen russisch-französischen Ballett-Tradition. — Einen solchen Künstler sollte man vor Anfechtungen und Skrupeln sicher wähnen. Nurejew ist es keineswegs. Da ist zunächst sein Hang zur Choreographie, wo er

bisher noch nicht den Beweis erbracht hat, daß dies Talent dem des Tänzers Nurejew gleichkommt. Und da ist jener Hauch von Melancholie und Einsamkeit, der immer um ihn ist, auch auf dicht bevölkerter Bühne. „Ich fülle mein Blut in ein Glas. Jedesmal. Wenn das Glas einmal leerbleibt, werde ich abtreten. Und das kann jeden Augenblick geschehen.“

Menschen, die ihn kennen, bezeichnen ihn als „undurchschaubar“. Nurejew versucht, so frei wie möglich zu bleiben und sich vom „Betrieb“ nicht einfangen zu lassen. Glaubt man ihn in London, so trainiert er in Kopenhagen, taucht — ganz außerberuflich — in Paris auf oder in Monte Carlo bei einem Rubinstein-Konzert und ist am nächsten Tag in Australien. Er hat einen Hang zum Luxus, zu teuren Wagen — und zur Meditation, gelegentlich auch zum Gammeln. Nurejew ist ein echter Russe. Und ein echter Künstler. Während das Ensemble der Wiener Staatsoper in Montreal gastierte, war er, zusammen mit Margot Fonteyn und der Berio-sowa, die Hauptattraktion im Großen Haus am Ring.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung