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Glanzvolle Ballettpremiere

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Was an dieser Stelle seit Jahren, und Immer wieder, behauptet und gefordert wurde, fand am vergangenen Donnerstagabend seine volle Bestätigung; Man gebe dem Wiener Staatsopernballett eine wirkliche Chance, und es wird zeigen, was es zu leisten imstande ist. (Es geht dem Kritiker bei dieser Feststellung nicht ums Rechthaben, sondern um die Sache: um die Position dieses mehr als 70 Mitglieder umfassenden Ensembles im Gesamtbetrieb und im Spielplan der Wiener Staatsoper.)

Dieser Premierenabend, einer der interessantesten und brillantesten im Großen Haus am Ring nach 1905, hat mehrere glückliche Prämissen. In seiner Eigenschaft als Kodirektor Karajans hat der frühere (und derzeitige) Intendant der Württembergischen Staatstheater, Professor Schäfer, den Choreographen Aurel von Millos als Ballettdirektor an die Wiener Staatsoper geholt und damit eine neue Ära des Wiener Staatsopernballetts eingeleitet. Und diesem gelang es, das derzeit bedeutendste und berühmteste Tänzerpaar für zwei Abende zu gewinnen: Rudolf Nurejew und Margot Fonteyn.

Rudolf Nurejew, 1938 in Ostsibirien geboren, wurde im Leningrader Kirow- Ensemble, das die glanzvolle Tradition des Maryinski-Theaters fortsetzt, ausgebildet. Seit seinem Auftreten während eines Gastspieles in Paris 1961, das er zum „Absprung“ benützte, ist Nurejew als Tänzer weltberühmt. 1962 debütierte er als Partner Margot Fonteyns im Londoner Royal Ballet — einer anderen Hochburg des klassischen Tanzes. Während der letzten Jahre, seit seine Choreographie von Glazunows „Raymonda“ nach der Londoner Premiere auch in Spoleto und in Baalbek gezeigt wurde, hat er sich auch als Choreograph einen Namen gemacht. „Schwanensee“, das er im Auftrag und für die Wiener Staatsoper neu Choreographien und einstudiert hat. wird seine Position auch auf diesem Gebiet festigen.

Tschaikowsky hat die umfangreiche Partitur zu dem von einer deutschen Sage inspirierten Handlungsballett zu „Schwanensee“ in den Jahren 1875 bis 1877 geschrieben. Die komplizierte Theatergeschichte dieses zunächst erfolglosen Werkes, das bahnbrechend für die weitere Entwicklung des Genres war, kann hier nicht wiedergegeben werden. Halten wir nur fest, daß erst ein Jahr r.aeh Tschai- kowskys Tod von Marius Pelipa und sei-

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reographie geschaffen wurde, in der das berühmte Werk auf uns gekommen, ist. A%er -ififc’ ‘sieht ‘ davori iheist mir Bei?’ 2. Akt (so auch 1946 in Wien mit Margot Fonteyn als Solistin). Nur diesen 2. Akt hat Nurejew, mit kleinen Veränderungen, übernommen. Alles übrige wurde neu gestaltet. Nurejew tat es, von dem ausgezeichneten Bühnenbildner Nicholas Georgiades unterstützt, mit Phantasie und poetischem Empfinden.

Als Choreograph ist Nurejew ebenso erfinderisch wie wählerisch. Er bevorzugt langsame, ausdrucksvolle Bewegungen und erweist sich als Meister harmonischer und fließender Übergänge. Es gibt bei ihm keine Schroffheiten und keine leeren Stellen — was bei einem Werk von mehr als zweistündiger Spieldauer viel bedeutet. Er versteht es, den Raum, je nach Bedarf, zu füllen oder zu gliedern. Die

Harmonie von Soli und Ensemble ist vollkommen.

Als Tänzer beeindruckt er zunächst durch seine noble, wahrhaft prinzliche Haltung. Er fesselt die Aufmerksamkeit allein durch seine Anwesenheit auf der Bühne (was ja immer ein Kriterium des echten Künstlertums ist). Als Tänzer ist er von kaum zu überbietender Perfektion, wobei kein Sprung, kein komplizierter Schritt, keine Drehung nur-virtuos wirkt. Was er tut, ist immer der Rolle, dem dramatischen oder dem lyrischen Ausdruck untergeordnet. Seine Bewegungen sind weich und präzis zugleich.

All das gilt auch für seine Partnerin Margot Fonteyn, die seinerzeit aus dem Sadler’s Wells Ballet hervorgegangen ist, mit 19 Jahren zum erstenmal die Doppelrolle Odette-Odile in „Schwanensee“ tanzte und 1956 (als einzige aktive Tän- lerin) mit dem Ehrentitel einer „Dame der Königin von England“ ausgezeichnet wurde. Bereits vor einigen Jahren wollte sie sich von der Bühne zurückziehen, aber die Möglichkeit, mit dem jungen aufstrebenden Nurejew zusammenzuarbeiten, ließ sie diesen Entschluß vergessen.

Die starke persönliche Ausstrahlung und die großartigen artistischen Leistungen dieses einzigartigen Tänzerpaares hat auf das Wiener Ensemble im höchsten Grade veredelnd und belebend gewirkt. Hinzu kamen sechs kurze Wochen intensivster

Probenarbeit. Das Resultat übertraf auch die optimistischesten Erwartungen. Nach Überwindung einer begreiflichen Premierennervosität während der ersten Minuten kam alles, was unsere Solisten und das Corps de Ballet produzierten, weich, gelöst, ausdrucksvoll und mit bemerkenswerter Präzision. In größeren Partien zeichneten sich aus: Lucia Bräu er als Mutter des Prinzen Siegfried und Arnold Jandosch als Zauberer; Susanne Kirn- bauer, Lisi Maar, Michael Birkmeyer und Franz Wilhelm als Gefährten des Prinzen. ferner die Darstellerinnen der vier großen und der vier kleinen Schwäne, die Hauptrollenträger der nationalen Tanzgruppen im 3. Akt. (Hier wäre, zugunsten der Konzentration auf die Haupthandlung, Kürzungen möglich gewesen.) Aber auch das gesamte aus 32 Tänzerinnen bestehende Schwanen-Ensemble ließ kaum einen Wunsch offen.

Der am Londoner Royal Ballet Theater wirkende Nicholas Georgiades ist ein Bühnenbildner von feinem und sicherem Geschmack. Er bevorzugte Pastellfarben und vermied jeden Kitsch und jede Grellheit, Nur der Schluß mit dem allzu realistisch über seine Ufer tretenden See (wozu der von einer Windmaschine geblähte Bodenbelag herhalten mußte) widersprach seinem zwischen abstrakt und gegenständlich wohlausgewogenen Stil. Und die sechs bräutlichen Edelfräulein beim Hoffest hätten eine größere Differenzierung, was ihre Garderobe betrifft, vertragen. Das Orchester leitete Charles Dutoit. Der Beifall nach den einzelnen Akten und am Schluß war hochfestlich und störendes Geschrei.

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