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Perfekte Solisten, lässiges Corps

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Was die ersten Nurejew-Abende seinen begeisterten Anhängern ein wenig versagten, bescherte jetzt endlich die Wiederaufnahme seiner 1964 für Wien erarbeiteten „Schwanensee”-Fassung. Keine Frage, daß dieser „Schwanensee” - auch dank Nicolas Georgiadis Ausstattung - zu den schönsten Ballettproduktionen der Staatsoper zählt und zu den wichtigsten der internationalen Ballettszene. Sie in makelloser Schönheit vorzeigen zu können, ist also Verpflichtung des Hauses am Ring. Und durch Nurejew selbst, oder zumindest durch Tänzer seines Kalibers, gewinnt die Aufführung jenen unverwechselbaren Glanz, jene Eleganz und Dynamik, die erst die Schönheiten des Werks hervorkehren.

Denn ein „Schwanensee” ohne äußerste Perfektion, ohne virtuos getanzte Variationen, ohne federnde Eleganz, schlittert allzuleicht ins etwas fade Historienballett.

Das aufregendste Ereignis dieser Wiederaufnahme war allerdings für mich nicht Nurejew selbst, sondern Cynthia Gregory, einer der Stars des American Ballett Theatre. Eine Odette von berückender Zartheit, jede Regung setzt sie in vollendete Bewegung um. Das ängstliche Zittern des Schweins wird zum aufregenden Spiel. Mag sie auch als schwarze Odile, als böser Lockvogel des Zauberers Rotbart, nicht ganz so ungestüm Dramatik ausspielen, so mindert das doch nicht den fabelhaften Eindruck, den diese Tänzerpersönlichkeit hinterläßt.

Rudolf Nurejew schien zwar im ersten Akt, vor allem in den Variationen seines Pas de cinq, nervös, etwas unsicher, ein wenig verkrampft. Hatte er

Angst vor Unsicherheit, vor unkonzentrierten Sprüngen, wie sie ihm bereits passiert waren? Offenbar. Aber kaum war die Gregory auf der Bühne, wirkte er gesammelt. Im dritten und vierten Akt sogar wie ausgewechselt Die Gregory wurde zur großen Herausforderung. Alles straffte sich gleichsam bei Nurejew, seine Sprünge hatten federnde Elastizität, Eleganz.

Allerdings tanzt Nurejew nicht mehr wie früher einen temperamentvoll schwärmerischen Prinzen, dessen Ungestüm gleichsam in die Beine fährt. Sein Siegfried ist heute melancholischer, voll von Todesahnungen. Er wirkt verhalten, was dieser Choreographie allerdings nicht schlecht ansteht. Tragisches Verlorensein und die Verkettung Siegfrieds mit seinem Spiegelbild, dem Schwan, kommen hier stärker heraus als in anderen „Schwanensee”-Fassungen.

So spektakulär diese solistischen Leistungen waren, so beiläufig wirkte allerdings vieles, was das Staats- opemballett selbst beisteuerte. War diese Wiederaufnahme zuwenig geprobt worden, war’s der Kompanie halt bloß eine schwere (und lästige) Aufgabe? Der Dirigent Reinhard Schwarz lenkte die Ballettgeschicke ohne sonderlichen Impetus. Manche Szene hing etwas lässig durch. Schöne Momente bescherten Lilly Scheuermann, Gisela Cech, Michael Birk- mayer. Aber sonst hatte man leider den Eindruck, daß sich viele Ensembleszenen „ergaben”. Schade. Gerade diese Paradeproduktion sollte alle zur Bestform mitreißen, ein Aushängeschild des Staatsopernballetts sein.

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