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Russische Klassik, Amerikas Show

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Mit „Schwanensee“, Prokofieffs „Romeo und Julia“ und einem Gala-abendprogramm gastieren die Permer, das heißt das Ballett des Tschai-kowsky-Theaters der Uralstadt, für zehn Tage in der Stadthalle. Man kennt die Truppe aus Bregenz, weiß welche Rolle sie im Kultur- und vor allem im Ballettteben der UdSSR spielt; hervorragender Ruf ist ihr vorangeeilt.

Um so mehr ist man hier ein wenig enttäuscht. Und zwar nicht darüber, daß hier ein Provinzorchester in blamabler Situation, das Orchester der rumänischen Stadt Timisoara, aufspielt, als gälte es, im Zirkus tanzende Elefanten zu begleiten; und auch nicht darüber, daß die Technik der Stadthalle zwar vielleicht für einen Boxkampf das richtige Licht auf die Szene klatscht, aber bei einem Ballett kläglich versagt: wenn Solisten und Ensembles überhaupt vom Scheinwerfer „getroffen“ werden, dann bricht das Licht über sie so hart herein, daß jeder optische Reiz zerstört wird und auf den gemalten Prospekten Schatten der Tänzer mitwandern ... Und es kann einem dann auch schon egal sein, ob die große Bühne überhaupt Stimmung hat... Aber enttäuscht ist man vom Corps, das „Schwanensee'“ etwa recht leger absolvierte: Das Ensemble wirkt zwar klassisch wohltrainiert, aber diesmal nicht sonderlich dynamisch; den großen Szenen mangelt es an Intensität. Der Eindruck des Durchschnittlichen, ja Provinziellen wird man etwa den ganzen ersten Akt entlang kaum los. Vor allem bei den Herren, die ihren jugendlichen Kolleginnen weit unterlegen sind. Denn zum Beispiel die Schwäne des zweiten Akts gefallen allein schon durch den Reiz ihrer Jugend.

Atmosphäre bezieht dieser „Schwanensee“ also vor allem von den paar imponierenden Solisten: Ljubow Kunakowa ist da eine Schwanenkönigin Odette, deren Persönlichkeit überall dominiert, deren Sicherheit, Souveränität und Bravour durch den Eindruck schwereloser Eleganz noch gesteigert wird. Allzu blaß hingegen der Siegfried Sergej Alexandrows, der selbst als Danseur noble zu langweilig bleibt.

Allerdings ist auch diese choreographische Version kaum geeignet, „Schwanensee“ in all seinen Reizen zu zeigen: So manche atmosphäreschaffende Stelle wurde eliminiert, das dramatische Schlußbild mit Siegfrieds Tod in den Wellen des aufgepeitschten Sees — wie Nurejew diese Fassung in Wien gestaltete — überzeugt stärker, hat mehr dramatische Wucht, atls diese „positive“ Lösung, in der Odette und Siegfried einander finden und der Zauberer Rotbart stirbt.

Im Theater im Künstlerhaus eröffnete die Murray Louis Dance Company, New York, die „Arena“-Spiele mit einem Querschnitt durch ihr choreographisches Repertoire: Modern Dance, hier geistig etwa dem Free Jazz verwandt, grenzt für Truppenchef Louis einerseits an Akrobatik, andererseits ans Entspannungstraining. Die Nummern sind höchst einfach gemacht; abstrakte Projektionen an der Wand, unbewegliche Farbscheinwerfer, die die Bühne in bestimmte Farbzonen einteilen, dazu raffinierte bemalte Trikots, kaum Requisiten ... Zu rasselnder, nervös flirrender Musik des berühmten Bal-lettleaders Alwin Nikolais, zu Improvisationen des „Oregon Ensembles“ oder etwa einer Brahms-Mon-tage exerzieren die drei Damen und vier Herren ihre Bewegungsstudien, die oft ins Parodistische umschlagen, etwa im „Balance Act“ aus „Hoppla“ (1973), der eine Art „Casino de Pa-ris“-Show persifliert. Als „analytisch“ könnte man diese Choreographien charakterisieren: Bestimmte einfache, aber feststehende Bewegungsreaktionen werden zerlegt, neu kombiniert, offenbar mit Improvisationselementen verklammert... Eine interessante Technik, an deren Ende freilich konsequenterweise die Erkenntnis steht, daß jede Art von Bewegung Kunst, Tanz sei: Das Leben auf der Straße — eine Tanzshow ...

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