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Tanz als Opernersatz

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Am vergangenen Wochenende war an zwei Abenden „Het Nationale Ballet“ aus Amsterdam mit Rudolf Nurejew als Gast zu sehen. Seit 1961, nach der Vereinigung zweier Kompanien, existiert das berühmte holländische Ensemble in dieser Form, sechs Jahre später wurde Rudi van Dantzig sein künstlerischer Leiter, dem heute die beiden Chef Choreographen Hans van Manen und Toer van Schayk (gelegentlich als Ausstatter arbeitend) zur Seite stehen. Alle drei sind zwischen 1932 und 1936 geboren, und gemeinsam schufen sie auch die Choreographie zu der den Abend einleitenden „Symphonie in C“ von Igor Stra-winsky. — Dieses Ballett ist eine Auftragsarbeit der Stadt Amsterdam anläßlich der 700-Jahrfeiern und wurde im Juni 1975 uraufgeführt.

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Am vergangenen Wochenende war an zwei Abenden „Het Nationale Ballet“ aus Amsterdam mit Rudolf Nurejew als Gast zu sehen. Seit 1961, nach der Vereinigung zweier Kompanien, existiert das berühmte holländische Ensemble in dieser Form, sechs Jahre später wurde Rudi van Dantzig sein künstlerischer Leiter, dem heute die beiden Chef Choreographen Hans van Manen und Toer van Schayk (gelegentlich als Ausstatter arbeitend) zur Seite stehen. Alle drei sind zwischen 1932 und 1936 geboren, und gemeinsam schufen sie auch die Choreographie zu der den Abend einleitenden „Symphonie in C“ von Igor Stra-winsky. — Dieses Ballett ist eine Auftragsarbeit der Stadt Amsterdam anläßlich der 700-Jahrfeiern und wurde im Juni 1975 uraufgeführt.

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Holland hat nämlich kein eigenes Opernensemble — wohl aber, neben dem weltberühmten Concertgebouw, die Stadschouwburg und einige andere große Säle, für Theater und Ballett. Den Bedarf an Opern befriedigt das sommerliche, über alle größeren Städte ausgebreitete Ho^jd-F.e-. stival. sowie -gelegentliche -Gastspiele, Holländische Kollegen versicherten uns, daß die Amsterdamer das Ballett höher schätzten als die Oper. Das kann, wer nicht gerade ein Opernfan ist, gut verstehen. Denn meist sind gute moderne Ballette intelligenter — oder, sagen wir es vorsichtiger: intellektueller als die meisten Opern. (Darüber, sowie über die Frage nach den Gründen der geradezu märchenhaften Ballettrenaissance nach 1945, hat der ehemalige Stuttgarter Intendant W. E Schäfer in seinen soeben erschienenen Lebenserinnerungen sehr Lesenswertes geschrieben ...)

Man begann also mit dem Ballett „Collecttve Symphony“ nach Stra-winskys 1940 vollendeter Symphonie in C, von der man sagen kann, daß sie klassische Strenge und vergeistigte Anmut ebenso vereinigt wie aparte Klanglichkeit mit Prägnanz und Durchsichtigkeit der Faktur. — Die gleichen Qualitäten hatte auch die Choreographie von “Manen, Schayk und Dantzvg, zumindest was den ersten Satz betrifft. Etwa zwei Dutzend junger Tänzerinnen und Tänzer traten auf, meist in Gruppen von sieben bis zehn, in Trainingskostümen und vor dunklem Hintergrund. Nicht ganz entsprach die technische Perfektion bei einigen Unisonostellen den Qualitäten und Anforderungen der Choreographie. — Den guten Gesamteindruck störend war auch die unpräzise Wiedergabe der heiklen Musik durch das Volksopernorchester unter Andre Presser (wie viele Orchesterproben mag er wohl gehabt haben?).

Hierauf eine längere Pause und danach, von vielen als Clou erwartet, Pos de Deux aus „he Corsaire“ in der Choreographie Petipas auf eine alberne Musik Riccordo Drigos. — Rudolf Nurejew hat nicht enttäuscht, trotz seiner 37 Jahre und trotz der Erinnerung an sein erstes Auftreten vor etwa 15 Jahren in Wien. Er ist immer noch eine prinzliche Erscheinung, jetzt mit schärfer geprägtem Gesicht, technisch hervorragend, so daß man die größere Anstrengung, die ihn jetzt manches kosten muß, kaum bemerkt. — Seine Partnerin Alexandra Radius hat mit ihm die Anmut und noble Erscheinung gemeinsam und den Vorteil der Jugend. — So sehr Nurejew auch gefeiert wurde: der Höhepunkt dieses Abends kam erst danach: Er wurde durch die außerordentlich poetische Choreographie Hans von Manens mit ihren harmonisch-fließenden Bewegungs-abläujen-gesetzt. Von drei Paaren in wenig- kleidsamen Kostümen wurde das Adagio aus Beethovens Hammerklaviersonate, im Tempo auf 23 Minuten gedehnt und vom Tonband abgespielt, so feinfühlig, tief und ernst nachempfunden, daß man hier wirklich von einer Umsetzung dieser einzigartigen Musik ins Optische sprechen kann. Manens Choreographie (erst Anfang Oktober dieses Jahres vom Nationale Ballet uraufgeführt), sowie seinen Tänzerinnen Aradi, Sand und Marchiolli, sowie den Tänzern Ebbelaar, Jurriens und Sinceretti gebührt für ihre Leistungen ein ganz großer Kranz.

Nach der 2. Pause: ein Ritt über den Bodensee: „Tod und Verklärung“ von Richard Strauss unter dem Titel „Blown in a gentle wind“, was man etwa mit „verweht in einem sanften Wind“ übersetzen mag. Obwohl das Programm Gegenteiliges verkündet, war doch im Wesentlichen die Grundstimmung von Straussens Tondichtung aus dem Jahr 1890 beibehalten. Rudi van Dantzig hatte sich da eine fast unlösbare Aufgabe gestellt (der andere, ältere Choreographen bisher bewußt ausgewichen sind). Toer van Schayk unterstützte ihn tapfer mit seinem Bühnenbild und präraffaeliti-schen Kostümen. Aber auch Nurejew und seine schöne Partnerin Sonja Marchiolli sowie ein Dutzend ambi-tionierter junger Tänzer konnten das Stück nicht retten. So blieb schließlich die genialische Musik von Richard Strauss mit ihren gelegentlichen Geschmacksentgleisungen der dominierende Schlußeffekt, der aber den positiven Gesamteindruck von diesem reichhaltigen und vielseitigen Programm, auf dem fast nur holländische Namen stehen, kaum zu trüben vermochte...

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