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Balanchine und seine Tänzerinnen

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Vollkommenheit ist selten. Man muß sie gebührend feiern. Wenn Georges Balanchine mit seiner Truppe auftritt, kann man das Beste erwarten, falls er von den Veranstaltern nicht zu Konzessionen gezwungen wird. Das war bei Balan-chines Gastspiel während der Salzburger Festspiele nicht der Fall. Man sah ein reines, echtes Balanchine-Programm: ausschließlich von ihm erfundene und einstudierte Ballette.

1924 wurde der junge Georgier, der drei Jahre vorher noch dem Ballett des ehemaligen Marientheaters in Leningrad angehörte, von Diaghilew entdeckt und in Balanchine umgetauft. Nach Stationen an der Kgl. Dänischen Oper, in Monte Carlo und Paris gründete er 1933 seine eigene Truppe, die — unter verschiedenen Namen — bald Weltruhm erwarb. Seit 1948 heißt sie „New York City Ballett“ und kann als das Feinste, Luxuriöseste und ästhetisch Vollkommenste bezeichnet werden, was die Neue Welt der alten anzubieten hat.

Das Programm des ersten Abends im Großen Festspielhaus enthielt fünf Ballette, alle handlungslos, vor dunkelblauem, schwarzumrandetem Hintergrund und mit nur angedeuteten Kostümen. Farben und dekorativer Prunk spielen bei Balanchine keine Rolle. Die berühmte „Serenade“ nach Musik Tschaikowskys hat Balanchine 1934 choreographiert und bis etwa 1948 an ihr gefeilt. Im gleichen Jahr entstand das kaum weniger berühmte Ballett nach Bizets Symphonie in C mit dem ursprünglichen Titel „Der Krystall-palast“. Den Kern des Programms bildeten drei neuere Schöpfungen Balanchines. Zu dem japanisch stilisierten „BugaJcu“, wurde Balanchine durch ein Gastspiel der kaiserlich japanischen Hofmusik und Tänzergruppe in New York angeregt. Von dem japanischen Komponisten Toshiro Mayuzumi ließ er sich eine westlich instrumentierte Partitur schreiben, die der Bearbeitung der japanischen Hofmusik „Etenraku“ ähnelt, welche vor etwa 30 Jahren der japanische Dirigent Fürst Konoye in westeuropäischen Konzertsälen hören ließ. Im ganzen: ein fernöstlicher Respighi, nicht eben wählerisch in den Mitteln, aber wirkungsvoll. Um so strenger ist Balanchines tänzerische Gestaltung dieser Hochzeitszeremonie: Vier Tänzerinnen geleiten die Braut herein, tanzen fünf Minuten und gehen ab. Hierauf folgt der Bräutigam mit vier Tänzern mit einem Auftritt von ebenfalls genau fünf Minuten. Anschließend tanzen beide Gruppen gemeinsam >— wieder fünf Minuten. Die eigentliche Hochzeit, in einem hinreißend kühnen Pas-de-deux des jungen Paares gipfelnd, dauert genau eine Viertelstunde, also wieder dreimal fünf Minuten. Das sind bei Balanchine keine Äußerlichkeiten oder gar Zufälle.

Und noch etwas: fast jedem anderen Choreographen wäre ein solches Sujet zur halbkomischen, pseudoexotischen Chinoiserie — beziehungsweise Japonerie — geraten. Unter Balanchines Hand aber entstand etwas sehr Pretiöses und Eigenständiges, bei dessen Anblick niemand auf die Idee kommt, zu lächeln oder auch nur an das „Land des Lächelns“ zu denken.

Höhepunkte musikalischer Interpretation und virtuoser Ausführung waren hierauf die beiden Ballette auf Spätwerke Strawinskys: das „Monumentum pro Gesualdo“ und die „Movements“. 1960 hat Stra-winsky, anläßlich der Feiern zum 400. Geburtstag des Prinzen von Venosa, Don Carlo Gesualdo, drei von dessen fünfstimmigen Madrigalen orchestriert. Der chorischen Behandlung der Stimmen folgt auch Balanchine und läßt, ohne sich sichtbar an die Fünfstimmigkeit zu halten, diese kostbare Musik von sieben Paaren tanzen. Auch dieses, nur acht Minuten dauernde Werk, hat zere-moniösen Charakter. Hierauf: „Movements for Piano and Orchestra.“ 1958/59 komponiert, fünf kurze Sätze von einer Dauer von insgesamt acht Minuten. Die äußerst konzentrierte und kapriziöse Musik wird von Balanchine und seinen Tänzern (einem Solistenpaar und vier Tänzerinnen) mit meist raschen, ungewöhnlich stilisierten, quasi abrupten Gesten in Bewegung umgesetzt. Hier decken sich Musik, Choreographie und die Eigenart von Balanchines Tänzerinnen am vollkommensten. Alles ist von kühler Eleganz, ohne spürbares Engagement, scheinbar ohne jede Emotion. Das kann man ganz einfach — und zeigt, wie es gemacht wird.

Es ist üblich, zum Lobe einer disziplinierten Balletttruppe zu sagen, sie sei homogen. Von Balanchines Ensemble kann man das nicht behaupten. Die meisten seiner Tänzerinnen — und er besitzt etwa 30, die die Bezeichnung „erste Klasse“ verdienen — sind wohl noch zu jung, um ihre eigene Individualität voll zur Geltung zu bringen. Sie sind Ton in Ihres Meisters Hand — ohne jedoch den Eindruck des „Gedrillten“ zu machen. Nennen wir nur Suzanne Farrell, Melissa Hayden, Jillana, Maria Talchief und die brillante Mimi Paul. Von den Tänzern* die ein wenig in die Rolle von „Hilfskräften“ zurückgedrängt scheinen, (zum Stützen, Führen und Stemmen) seien wenigstens Arthur Mitchell und Jacques d'Ambroise erwähnt. — In Robert Irving hat das New York City Ballett einen Dirigenten, der vom Orchester des Mozarteums unnachsichtig Präzision und Tonschönheit forderte und der nicht nur auf die Bühne — wo man seiner Sache ohnedies sicher war —, sondern auch auf die Musiker Ruhe ausstrahlte.

Das Publikum kargte zwar nicht mit Beifall, schien aber doch nicht ganz zu realisieren (oder waren lauter Snobs im Haus?), wen und was es da vor sich hatte. Nämlich das Erlesenste an Kunst und Künstlerrum, das es heute irgendwo auf einer Bühne zu bewundern gibt.

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