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Keine Krise des Balletts

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Ninette de Valois, Georges Balanchine und Leonid Massine: drei weltberühmte Choreographen. Und das Ballett der Wiener Staatsoper: nicht genügend ausgelastet, zur „Einlage“ in „Aida“ oder „Margarethe“ degradiert, vom — zurückgetretenen — künstlerischen Leiter konsequenter Mißachtung gewürdigt, von Roues mit abwertender Handbewegung bedacht... Und doch: Beide Komponenten — die großen Gäste und unsere Tänzer — ergeben einen der gelungensten Ballettabende, auch an internationalen Maßstäben gemessen. Gerade die vor kurzem ausgebrochene Krise in der Leitung der Wiener Staatsoper scheint die stille, aber desto intensivere Arbeit Aurel von Milloss' erst richtig hervorzuheben.

Der Auftakt des Abends freilich war ein wenig mühevoll: „Schachmatt“, mit der Musik von Arthur Bliss, der nicht mehr brandneue Einfall, ein Schachspiel choreographisch zu interpretieren, wird vom Programm als erste Leistung des britischen Balletts gerühmt. Es wurde von Ninette de Valois für die Pariser Weltausstellung 1937 geschaffen und birgt — so scheint es wenigstens — eine Fülle zeitgebundener politisch-historischer Symbolik in sich, die freilich heute kaum mehr interessiert. Und die fast 30 Jahre, die seit der Uraufführung immerhin schon vergangen sind, lassen recht wenig Schlüsse auf das Ballett der Gegenwart in England zu. Den Komponisten Arthur Bliss nennt das Programm einen der geschicktesten britischen Tonsetzer seiner Generation, der gerade auf dem Gebiet des Balletts sein Bestes gegeben hat. Damit ist auch wohl alles über die Musik gesagt.

Auf die antiquierte Neoklassik folgte Georges Balanchines Ballett „Die vier Temperamente“, nach Paul Hindemiths „Thema mit vier Variationen“ für Klavier und Streichorchester, einem der ersten in Amerika entstandenen Werke des Komponisten. Balanchine gilt allgemein als der Choreograph, der der Musik das absolute Primat einräumt. Seine häu-

fig zum Ausdruck gebrachte Theorie will die Choreographie als „gehorsame Tochter der Musik“ sehen, sie habe lediglich der Musik zu folgen. In dieser seiner

choreographischen Integration des Musikstücks entfaltet Balanchine Figurenspiele von raffiniertestem und verblüffendstem Reichtum, gleichzeitig aber auch von charakteristischer Freiheit in der Ausgestaltung der Bewegungskontrapunktik, was etwa durch die Einführung von kanonartigen Bewegungselementen in die choreographische Partitur zum Ausdruck kommt, auch in Fällen, wo ähnliches in der Musik nicht unternommen wurde.

Schlußpunkt des Abends war Leonid Massines „Dreispitz“, mit der der Fla-mencotechnik nachempfundenen Musik Manuel de Fallas. Pablo Picassos farbarmes Bühnenbild, als Gegensatz dazu seine überaus bunten Kostüme — dies alles stellt ein höchst lebendiges Mobu-

ment des Diaghilewschen Russischen Balletts dar, ein Monument modernen Theaters überhaupt. Dirigenten des Abends waren Bernhard Schwarz — „Schachmatt“, „Die vier Temperamente“ — und Charles Dutoit — „Der Dreispitz“. Beide hoben sich erfreulich hoch über das Niveau lustlosen Repertoiredurchschnitts.

Der Abend stand vor allem im Zeichen der stürmisch nachdrängenden Ballettjugend: Neben Christi Zimmerl — als eisige Schwarze Königin und bezaubernde Müllerin —, neben Erika Zlocha, Ully Wahrer, Irmtraud Haider und Susanne Kirnbauer, den Herren Karl Musil, Paul Vondrak, Franz Wilhelm und

Rainer Wülfrath konnten sich Edeltraud Brexner und Willy Dirtl nur dank ihrer immer noch unübertroffenen Technik halten. Richard Nowotny, Spezialist für Hexen und böse Feen, verlieh dem Cor-regidor eigene, skurrile Züge. — Die Stimme einer Frau im „Dreispitz“ gehörte Margareta Sjöstedt, den Klavierpart in „Die vier Temperamente“ spielte sehr klar Winfried van den Hove.

Direktionskrise im großen Haus am Ring? Das Ballett schien davon unberührt und nahm — neben Ninette de Valois, Georges Balanchine und Leo-nid Massine — den Dank des Publikums mit sichtlicher Freude entgegen.

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