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Ballett als Gesamtkunstwerk

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Aurel von Milloss, der Leiter und Direktor des Corps de ballet der Wiener Staatsoper, hat seine erste Saison in der Ära Gams-jäger. Wir sprachen mit ihm über seine Pläne und Intentionen.

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Aurel von Milloss, der Leiter und Direktor des Corps de ballet der Wiener Staatsoper, hat seine erste Saison in der Ära Gams-jäger. Wir sprachen mit ihm über seine Pläne und Intentionen.

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Alles Bestreben von Aurel von Millos' ist, wie er gleich eingangs erklärt, auf die Universalität des Tanzes gerichtet, und er beweist dies an Hand seines eigenen Werdegangs. 1006 geboren, hat er in den zwanziger Jahren in Paris, Berlin und auch im vorstalinistischen Moskau wesentliche Erfahrungen sammeln können. Später kam vor allem in Paris eine Verfeinerung des Geschmacks, ja eine Zuspitzung des Ästhetischen hinzu. Insbesondere wirkte auf ihn der Einfluß der Malerei. In Berlin hat ihm der Expressionismus viel gegeben.

Zu dieser Zeit studierte er bei Laban den freien Tanz. Doch schon damals empfand er, daß diese Technik nicht ausreichte, und er befaßte sich auch mit dem klassischen Ballett. Diese entgegengesetzten Strömungen, meinte er, müßten zu einer Synthese gelangen. Expressionist wollte er nicht bleiben, er suchte eternelle Werte und wollte zu einer Verbindung mit der Tradition gelangen. So begann er, Musik zu studieren, um sich eine möglichst breite Basis zu schaffen. Intensiv beschäftigte er sich auch mit der Geschichte des Balletts und setzte sich mit den Werken aller großen Choreographen unseres — wie der vergangenen — Jahrhunderte auseinander. „Ich glaube, ich habe wirklich die Prinzipien der früheren Choreographen assimiliert“, meinte er.

Millos wollte den Fortschritt, ohne sich aber von der Evolution, der organischen Gesamtentwicklung zu trennen. Ihm schwebt die Synthesis des heute etwas vernachlässigten klassischen Konzertballetts mit dem modernen Handlungsballett vor. Nach seinen Intentionen soll das Anekdotische eliminiert werden und die Besonderheiten, die „causa originalis“, in der Dramatik aufgespürt werden.

„Ich habe immer in meinem gesamten Schaffen große Musik gesucht. Als Künstler dieses Jahrhunderts setze ich mich besonders mit der Gegenwartsmusik auseinander.“ Aus den vergangenen Jahrhunderten haben ihn Bach und Vivaldi sehr angezogen. Heute beschäftigt ihn sehr stark das 4. Klavierkonzert Beethovens, das er als sehr ausdrucksstark empfindet.

Seine Freundschaft mit Bartök und Strawinsky hat ihm neue Wege gewiesen. Das Objektive in der Musik von Strawinsky — er überließ ihm die Uraufführung seines „Orpheus“ — und insbesondere das Subjektive bei Bartök — dem er sich sehr verbunden fühlt — haben ihn inspiriert.

„Außer Choreograph bin ich auch gleichzeitig Ballettchef, und als solcher ist mir absolut bewußt, daß die gesamte Aktivität des von mir geleiteten Ensembles nicht von meiner persönlichen schöpferischen Arbeit beeinflußt werden darf.“ Daher will er auch andere Welten des Tanzes pflegen, die mit seiner persönlichen Tätigkeit im einzelnen nichts, wohl aber im Generellen etwas zu tun hat.

Seitdem das Corps de ballet der Staatsoper unter Aurel von Milloss beim Maggio Fiorentino, wo die berühmtesten Ballettgruppen zu sehen sind und die internationale Presse sehr strenge Maßstäbe anlegt, viele Lorbeeren erringen konnte, ist das Selbstbewußtsein des Wiener Ensembles gestiegen.

Fürs erste will Milloss die Ballett-Renaissance in Wien festigen. Darum hat er Balanchine und Massine wieder eingeladen, hier zu arbeiten. Eine Universalisierung des Tanzgeschehens herbeizuführen, schwebt ihm für Wien vor.

In dieser Spielzeit gab es drei Premieren: eine war am 24. September, die zweite am 8. November und die dritte ist für 18. März kommenden Jahres geplant.

Als Gastchoreograph konnte auch der Chef des Bolschoi-Balletts Jury Grigorowitsch gewonnen werden. Auch berühmte Tänzerinnen und Tänzer sollen hier gastieren. Im März wird Europas größter Tänzer Paolo Bartoluzzi, der zuletzt bei Be-jart in Paris und auch in Mailand getanzt hatte, auftreten. Er wird den

„Verlorenen Sohn“ von Prokoffieff in der Choreographie von Milloss tanzen.

Uber das Wiener Ballettensemble ist er voll des Lobes, es gehört, seiner Meinung nach, zu den besten Europas; es ist voll von frischen und ausgezeichneten Begabungen, hat wertvolle Solisten, darunter auch solche, die in ganz Europa kaum Konkurrenz haben.

Die Kontakte mit der modernen Malerei will Milloss weiter ausbauen; sobald die Zeit dafür reif ist, möchte er auch österreichische Musiker heranziehen, er denkt da vor allem an Cerha und Ligeti. Nach dem Wunsch Direktor Gamsjägers soll es auch in der Volksoper eigene Aufführungen des Staatsopernballetts geben, um Ballett überhaupt mehr zu popularisieren und auch um bessere Beschäitigungsmöglichkeiten für das Ensemble zu haben.

Ein „Jour fixe“, wurde dem Bai-lettchef gesagt, hänge von einer Reform des Abonnementsystems ab. Doch er meinte, die Hauptsache sei heute, daß jede Woche ein Ballettabend garantiert wird.

„Ballett ist ein Kulturfaktor“, betonte Milloss voll Überzeugung, „das klassische und das moderne Ballett sind Dinge, die in die gesamte Kulturevolution gehören; es liegt im Geiste Mitteleuropas, allen Strömungen Heimstatt zu geben. Im Tanz sind alle Künste vereint: die Musik, die Plastik, die Malerei, die Kunst, im Raum Ausdruck zu gestalten, das Schauspiel, die Pantomime, wenn Sie wollen, der Tanz ist tatsächlich die Brücke zum Gesamtkunstwerk.“

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