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Milloss-Schüler tanzen allein

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Wir haben vor einigen Wochen anläßlich der Besprechung des Ballettpremierenabends der Wiener Staatsoper Strawinskys „Les Noces“ als letzte Choreographie des scheidenden Ballettdirektors bezeichnet und gewürdigt. Nun gab es, im Rahmen eines Konzertes in der Sezession, das vom Ensemble „Kontrapunkte“ unter der Leitung von Peter Keuschnig ausgeführt wurde, noch einen „Nachtrag“: Mit dreien seiner Tänzer hatte Aurel von Milloss, der Wien inzwischen verlassen hat, noch ein Ballett einstudiert, und zwar auf Ernst Kreneks 1962 geschriebenes Alpbach-Quintett für fünf Bläser und zwei Schlagwerker. Schon damals wurde zu dieser Musik getanzt, nämlich von der Gruppe Yvonne Georgi, und damals schon hat Kre- nek fünf Zwischenspiele (für je eines der fünf Blasinstrumente mit Schlagwerkbegleitung) geschrieben. Da wir nicht bei der Uraufführung waren, wissen wir nicht, welchem Zweck diese Interludien dienten. Bei der Aufführung in der Sezession erwiesen sie sich als überflüssig, ja als störend, da, während sie abgespielt wurden, die Tänzer in Habt-acht-Stellung auf der Bühne verharrten, was fürs Publikum langweilig und für die Ausführenden eher peinlich war.

Um so hübscher wurde die geistvolle und elegante Choreographie Milloss’ von der schlanken und gewandten Lilly Scheuermann und den Herren Oswald Haderer und Peter Mallek ausgeführt. Keine Minute lang (und das Gesamtwerk dauerte fast eine halbe Stunde) gab es in den Soli, Pas-de-deux und Pas-de- trois leere Stellen. Die Klarheit dieser in Trainingskostümen ausgeführten Choreographie wurde einem um so stärker bewußt, als man einige Tage vorher im Theater an der Wien, ebenfalls von Mitgliedern des Staatsopernballetts ausgeführt, einige andere Ballette gesehen hatte.

Doch bevor wir von ihnen sprechen, sei noch das Programm des Konzertes mitgeteilt: Zur Eröffnung spielte Urs Peter Schneider die 1. Klaviersonate von Pierre Boulez und hierauf Walter Verdehr und

Martin Bjelik Weberns „Vier Stücke für Violine und Klavier“. Den zweiten Teil des Programms bildete Alban Bergs Kammerkonzert mit Lynn Blakeslee, Violine, und Rainer Keuschnig, Klavier.

Das Wiener Jeunesse-Ballett, ein aus acht Tänzerinnen und Tänzern der Staatsoper bestehendes Kammerensemble, ist, laut eigener Definition, „ein Ballett der Jugend für alle geistig Jungen, eine choreographische Werkstatt, die den tänzerischen Stil von morgen sucht“ Mit der Jugend hat es allenfalls seine Richtigkeit: alle sind jung, auch Herbert Nitsch als Choreograph (obwohl als Tänzer eher der mittleren Generation zugehörig); und jung ist auch der talentierte, seit mehreren Jahren in Paris lebende Maler Hubert Aratym, der die eigenwilligen Kostüme und die leuchtend-dekorativen Bühnenbilder schuf.

In einer Nachtstudioveranstaltung im Theater an der Wien, die um 23 Uhr begann und länger als zwei Stunden dauerte, sahen wir fünf neue Ballette. Das schwächste, nach der nicht gerade sehr tänzerischen Sonate für Flöte, Bratsche und Harfe von Debussy, hieß „Arcadia“, worin von zwei jungen Damen und einem Herrn gezeigt wird, was man in Arkadien so treibt, nämlich fast nichts, aber dafür fühlt man sich wohl und läßt es sich gut gehen, auch wenn sich das Publikum dabei ein wenig fadisiert.

Recht bös und heftig ging es dagegen im nächsten Stück zu, einer „Ballade“ nach Bartöks „Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug“. Darin hatte sich ein „Poet“ mit Beatle-Frisur (Franz Wilhelm) mit einem giftgrün gewandeten „Dämon“ (Peer Kastelik), einer versöhnlich hübschen Tragödie (Elisabeth Möbius) und der männlichen „Komödie“ (Oswald Haderer) auseinanderzusetzen.

Hierauf folgte, in prächtigen Kostümen in Rot und Silber vor schwarzem Hintergrund und flankiert von acht Projektoren, die wie Granatwerfer aussahen, das Ballett „Distanze“ nach Luigi Nonos drei-

teiliger Komposition Polifonica — Monodia — Ritmica. Es brachte alle acht Solisten auf die Bühne, wiederum mit sehr heftigen Aktionen, deren Sinn zwar dunkel blieb, bei denen sich aber, neben Elisabeth Möbius, Gisela Cech durch grazile Anmut und Günther Falusy durch gute Haltung auszeichnen konnten.

Dann kam, al.s vorletztes Stück und erster Höhepunkt, „Einzelgänger“ nach der Sonate für Posaune und Klavier von Paul Hindemith. von Herbert Nitsch und Christi Zimmert, der Staatsopernballerina (als Gast), sehr eindrucksvoll getanzt. Was bei den vorangegangenen Tänzen als Schwäche des Choreographen vermerkt werden mußte, nämlich seine Unfähigkeit, Gruppen, ja nicht einmal einen Pas-de-deux komponieren zu können, war hier Absicht und recht eindringlich gestaltet (jeder tanzt — und lebt — für sich allein), wobei dem Choreographen auch die kühle Distanz und tänzerische Brillanz seiner Partnerin zu Hilfe kam.

Im letzten Ballett — auf Strawinskys prächtiges „Oktett für Blas-, instrumente“ — war nur der Titel mißglückt. Er lautete, ein wenig pubertär und an die Blütezeit der Ausdruckstanzmatineen in den zwanziger Jąhren erinnernd: „Vision: Morbide Clownerie“. Hier zeigten sich auch die Qualitäten, zumindest das Talent des jungen Choreographen. Er hat Einfälle, kreiert neue, originelle Figuren und erweist sich auch als musikalisch. Plötzlich kam Schwung und Bewegung in alle acht Tänzer, und Strawinskys Musik wurde in adäquate tänzerische Formen umgesetzt. Einen Abend in diesem Stil hätte man sich gerne gefallen lassen

Mindestens ebensoviel wie auf der Bühne leistete vor derselben, unsichtbar, das unermüdliche Ensemble „die reihe“ unter der Leitung von Friedrich Cerha, so daß auch derjenige, dem bei „Arcadia" die Augen zufielen oder der es vorzag, bei den jugendlichen Exhibitionen der „Ballade“ wegzuschauen, voll auf seine Rechnung kam.

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