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Auf der Suche nach einem Choreographen

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An vier Abenden gastierte das New Yorker Alvin Ailey City Center Dance Theatre mit vier verschiedenen Programmen und nicht weniger als zwölf Werken im Theater an der Wien. Man kann sich also sehr wohl vom Programm, dem Charakter und der Technik dieser Truppe ein Bild machen. Der Gesamteindruck ist positiv und so erfreulich, daß man diese vier Abende als geglückten Abschluß der diversen Gastspiele im Theater an der Wien empfand. Diesen Eindruck bestimmen eine Reihe gelungener Darbietungen, vor allem aber das Corps bildhübscher* guttrainier.ter männlicher Tänzer, aber auch einiger weiblicher Protagonisten.

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An vier Abenden gastierte das New Yorker Alvin Ailey City Center Dance Theatre mit vier verschiedenen Programmen und nicht weniger als zwölf Werken im Theater an der Wien. Man kann sich also sehr wohl vom Programm, dem Charakter und der Technik dieser Truppe ein Bild machen. Der Gesamteindruck ist positiv und so erfreulich, daß man diese vier Abende als geglückten Abschluß der diversen Gastspiele im Theater an der Wien empfand. Diesen Eindruck bestimmen eine Reihe gelungener Darbietungen, vor allem aber das Corps bildhübscher* guttrainier.ter männlicher Tänzer, aber auch einiger weiblicher Protagonisten.

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Wollte man den Gesamtstil dieser Truppe und ihrer Ballette definieren, so käme man in SchwieWgkei-ten. Sie besteht vornehmlich aus Farbigen, und auch ihr Chef gehört zu diesen. Alvin Ailey, ein Mann in mittleren Jahren, hat als junger, Mensch, nach einigem Schivanken zwischen Wissenschaft (Philologie) und Kunst sich für die letztere entschieden, besuchte die Schule und das Tanztheater von Lester Horton und wurde bereits 1953, nach Hortons Tod, dessen Nachfolger als Chefchoreograph und künstlerischer Leiter des City Center, das heute seinen Namen trägt.

Wie alle zeitgenössischen Tänzer von Rang absolvierte er das klassische Training, dem auch alle seine heutigen Schüler unterworfen wurden. Auf dieser Basis verbindet er Elemente des Modern Dance (also einer Neuauflage des deutschen Expressionismus) mit Anregungen der großen Martha Graham — und mit Folklore, gesungener und getanzter. Aber in diesen zwanzig Jahren hat er eigentlich keinen eigenen Stil entwickelt, es gibt kein „Markenzeichen“ A. A. D. T, sondern nur eine Reihe interessanter Werke.

Das Wiener Gastspiel begann am 1 Abend mit The Lark Ascending, dem „Flug der Lerche“, nach einer gleichnamigen, zu Tanz inspirierenden Musik von Vaugham V/iüiams: ein freundliches und erfreuliches Stück mit allerlei geglückten optischen Tricks, an dem ein Dutzend Tänzerinnen und Tänzer beteiligt war. Im Jahr vorher (1971) hat er .allen schwarzen Frauen, besonders unseren Müttern“, ein hochexpressives Stück gewidmet, das von der faszinierenden Sara Yarborough*sehr eindrucksvoll getanzt wurde, und awar auf Musikstücke mehrerer amerikanischer Komponistinnen und Komponisten. — Viel älter ist die Ballade von den Kettensträflingen, die Choreographie stammt von Donald McKayle. Auch hier wieder eine dominierende Frauenges+alt: die überlange Sara Yarborough. Zum Abschluß des 1. Abends gab es „Re-velations“ von 1960, von Ailey nach Volksmusik choreographiert, effektvoll, aber nicht oberflächlich. Hier war die ganze Compagnie beteiligt und wurde mit Enthusiasmus begrüßt.

Der zweite Abend begann härter, und zwar mit einem „Dance for Six Men“ auf Musik von Vivaldi in der Choreographie von Joyce Trister. Love Songs war eine Solonummer

für den hageren Dudley Williams und hat uns keinen besonderen Eindruck hinterlassen, vielleicht wurde er auch von den unmittelbar nachfolgenden „Carmina Burana“ (auf Orffs schon klassisch gewordene Musik},,, .verdrängt Wie hier, unter Vermeidung realistischer Nacherzählung, die immer wieder stimulierende Musik ins Opische transferiert wird (Ordif hat das ja ausdrücklich nicht nur gestattet, sondern sich auch gewünscht): das zeugte von der Arbeit eines Meisterchoreographen, John Butler, einem leider nicht genannten hochtalentierten Ausstatter (angegeben ist nur die gleichfalls sehr wichtige Lichtregie von Tom Skelton). Wie da von düstrem Schwarz sich die Farben immer mehr aufhellen, bis zu einem brennenden Purpurrot, wie die Szenen voneinander abgesetzt sind, wie, analog der Partitur, der Schluß wieder in den Anfang mündet: das alles war raffiniert und effektvoll gemacht und entfesselte einen Beifallssturm, wie wir ihn selten erlebten. Die Mischung von Altertümlich-Deutschem mit typisch Amerikanischem war ja in der Tat überaus reizvoll.

Der 3. Abend brachte, nach Wiederholung von „The Lark Ascending“ und „Cry“ zwei mitreißende Publikumsschlager: die von Vcs Harper apart und lustig ausgestattete Blues-Suite, von Ailey einfallsreich und lustig choreographiert und von den jungen Tänzern mit offensichtlicher Freude am Spaß dargeboten. — Hierauf die „Missa brevis in tempore belli“, die Zoltän Kodäly am Ende des Zweiten Weltkriege geschrieben hat (für Soli, Chor und Orgel), an der sich der Choreograph Jose Limon sowie die Ausführenden einfach überlupft haben. Dieser Musik war keiner der Ausführenden gewachsen.

Etwas schwächere Eindrücke hinterließ der vierte und letzte Abend mit „Streams“ auf Klaviermusik von dem Prager Miloslav Kabelac („Acht Inventionen“) für Soli und kleine Gruppen von Ailey choreographiert. Aber das große Solo von Judith Jamison, choreographiert von Marle-ane Furtick auf Musik von Hopkins demonstrierte das eminente Können einer Solistin. Und das folgende „The Kinetic Molpai“, ein reines Männerstück auf Musik von Jess Heeker von Ted Sharon choreographiert, bezeugte noch einmal die künstlerische Potenz der neun besten Tänzer des Balletts, die den Tänzerinnen der Truppe überlegen sind.

Von September 1935 bis Mai 1940 hat diese Kreation mit ihrer reißerischen Walzerparodie rund 500 Aufführungen erlebt, ist also ein ausgesprochenes Erfolgsstück, zu dem uns, wie zu einigen anderen Werken, ein leichtverständlicher deutscher Kommentair gefehlt hat.

Alvin Aileys Dance Theatre wurde vom Wiener Ballettpublikum sehr freundlich aufgenommen, alle Aufführungen waren ausverkauft.

„Wien, die Stadt, die für Ballett nichts übrig hat“, erwies sich wieder einmal als Legende: Das zum großen Teil aus Jugendlichen bestehende Publikum hat den Gästen aus New York Ovationen bis zu 25 Minuten bereitet, so daß nicht nur das Publikum, sondern auch die Veranstalter (die Festwochenintendanz) und die Tänzer von diesen vier Abenden hochbefrieidgt sein können.

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