6854088-1977_07_13.jpg
Digital In Arbeit

Ernst Fuchs konnte sich austoben

19451960198020002020

Zum vorletzten Mal wurde das erste Ballett von Richard Strauss, die „Josephslegende”, vor 20 Jahren an der Wiener Staatsoper inszeniert. Was wir vorige Woche im Großen Haus am Ring sahen, war eine sowohl von der damaligen wie von der Original-Choreographie gleich weit entfernte Neufassung. Sie stammt von dem derzeit in Hamburg als Ballettchef wirkenden Amerikaner John Neumeier, der zwar die Grundfabel, das Hauptmotiv (Widerstand gegen die Verführung) beibehielt, aber die Handlung um viele Details bereicherte, vor allem aber den „rettenden Engel” (in der Uniform eines höheren römischen Offiziers) von allem Anfang an mitspielen ließ und ihn auch deutlich in der letzten Szene zeigte, da er Joseph mit sich nimmt, in eine höhere Sphäre… Neumeier bringt auch Bewegung in die sonst meist statische Gestalt von Potiphars Weib. Sie thront nicht nur, sondern sie agiert und tanzt - fast so ausgiebig wie Salome - und mit dem gleichen Zweck.

19451960198020002020

Zum vorletzten Mal wurde das erste Ballett von Richard Strauss, die „Josephslegende”, vor 20 Jahren an der Wiener Staatsoper inszeniert. Was wir vorige Woche im Großen Haus am Ring sahen, war eine sowohl von der damaligen wie von der Original-Choreographie gleich weit entfernte Neufassung. Sie stammt von dem derzeit in Hamburg als Ballettchef wirkenden Amerikaner John Neumeier, der zwar die Grundfabel, das Hauptmotiv (Widerstand gegen die Verführung) beibehielt, aber die Handlung um viele Details bereicherte, vor allem aber den „rettenden Engel” (in der Uniform eines höheren römischen Offiziers) von allem Anfang an mitspielen ließ und ihn auch deutlich in der letzten Szene zeigte, da er Joseph mit sich nimmt, in eine höhere Sphäre… Neumeier bringt auch Bewegung in die sonst meist statische Gestalt von Potiphars Weib. Sie thront nicht nur, sondern sie agiert und tanzt - fast so ausgiebig wie Salome - und mit dem gleichen Zweck.

Werbung
Werbung
Werbung

Mit der die Bühne beherrschenden Judith Jamison von der amerikanischen Alvin-AUey-Tanzkompanie wurde Madame Potiphar zur Hauptfigur, und dies nicht nur dank der übermäßigen Länge dieser hervorragenden dunkelhäutigen Tänzerin, sondern auch durch die Faszination, die von ihr ausgeht. Der schöne junge Joseph war der gleichfalls aus Amerika stammende und bei Neumeier in Hamburg tätige Kevin Haigen. Außer Karl Musil als Engel und Franz Wilhelm als Potiphar standen noch mehr als 60 Namen auf dem Programm: als Tänzer, Gäste im Palastgarten Potiphars, als Wettkämpfer, Folterknechte und Klageweiber. Die von Emst Fuchs nicht nur phantastisch, sondern auch zweckmäßig ausgestattete Bühne ließ den Protagonisten und den vielen Tänzergruppen auch genügend freien Raum. Für diesen orientalischen Prunk ist der Stil von Ernst Fuchs in hohem Maße geeignet. Das haben wir auch nicht anders erwartet, nimmt doch das Alte Testament in seinem graphischen Schaffen einen breiten Raum ein. Auch an die „Architeętiira cąetestis” “e’Htiįneft manches. Fäst fechon mit Routine benützt er Gemaltes, Schleier und Projektionen. An den vielen, vielen Kostümen konnte sich seine Phantasie austoben. Daß es manchmal schien, daß da das eine nicht zum andern paßte, ist kein Einwand. Denn gerade dieses Stilgemisch (das aber im Ganzen doch ästhetisch wirkt) wollten die Autoren dieses Librettos, Hofmannsthal und Graf Kessler, deren optische Vorstellungen sich am Stil des Paolo de Veronese orientierten.

Aber was soll man zu der eine ganze Stunde dauernden Musik von Richard Strauss sagen? Es gehört schon ein gewaltiger Respekt vor dem großen Namen dazu, um sie nicht - mit Ausnahme einzelner Passagen - als kitschig-trivial und langweüig zu bezeichnen. Selbst der gutwillige Hofmannsthal war nach dem ersten Vorspielen durch den Komponisten „in einer nachhaltigen Bestürzung”. Was mag sich erst Diaghilew gedacht haben?

Richard Strauss war es, der Schönberg auf das geheimnisvoll-leise Stück des Symbolisten Maurice Maeterlinck aufmerksam machte. Strauss hielt es für einen guten Opemstoff, und wie recht er hatte, bewies Claude Debussy, der das Stück seit seiner Uraufführung 1892 im Auge hatte. Doch erst zehn Jahre später fand die Aufführung der Oper „Pellėas et Mėlisande” in der Pariser Opera comique statt Schönberg aber bediente sich des Stoffes 1902 zu einer symphonischen Dichtung von 50 Minuten Dauer. Und man muß sagen, daß in diesem selten zu hörenden Werk zahlreiche neue Farben der Schönbergschen Palette zu bewundern sind. Das große Orchester schillert in allen Farben, kräftigen und zarten, und ist auch plastisch genug, um als Ballettmusik verwendet zu werden. Das Interessante žih diesem Stoff ist, daß weder Debussy noch Schönberg von dep Kompositionsplä- nen des anderen wußte. „Pellėas” lag also in der Luft Und da es sich um eine unglückliche Liebesgeschichte handelt ist bei beiden Wagners „Tristan und Isolde” nicht fern, ja seine Oper hat - auf sehr verschiedene Weise freilich — bei den Werken der beiden Jüngeren Pate gestanden. Erich Walter und Heinrich Wendel haben das Werk optisch realisiert: Walter als Choreograph, Wendel als Bühnenbildner, der einen ähnlichen Rahmen schuf wie seinerzeit Karąjan, als Hilde Güden die Mėlisande sang.

Lili Scheuermann war eine stimmungsvolle, technisch perfekte Protagonistin, deren Partner, Michael Birkmeyer ist nicht nur einer unserer besten Tänzer, sondern auch der am meisten poetische. Die Ballettmusik folgt den Szenen des Maeterlinck- schen Dramas, ist aber wohl für die, die das Stück oder Debussys Oper nicht kennen, schwer verständlich.

Unverständlich ist für uns, weshalb der Choreograph den König und die Königin (Marialuise Jaska und Paul Vondrak) so sehr in den Vordergrund gerückt hat Zwar haben sie das ein wenig Abgelebte und Gespenstische wie bei Maeterlinck, treten aber zu stark hervor. Eine der Hauptfiguren, Golo, Mėlisandes Mann, wurde durch Ludwig Musil als Hauptfigur gestaltet.

Beide Partituren wurden von Heinrich Hollreiser betreut. Er ist ja ein bewährter Strauss-Interpret, hat aber auch Schönbergs neuromantische Musik (in der noch keine Spur von Dodekaphonik zu bemerken ist) sehr sensibel und farbig interpretiert. Viel Beifall nach jedem Werk - und einige durch nichts zu rechtfertigende Buhrufe, als Ernst Fuchs sich zeigte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung