6846089-1976_21_12.jpg
Digital In Arbeit

Von Bein- und Hutsdiensdileuderern

Werbung
Werbung
Werbung

Mit Molnärs „Liliom“, diesem prächtigen Gücksfall des neueren Volkstheaters, hat es ein Regisseur normalerweise nicht leicht: der Realismus soll glaubhaft sein, die Sentimentalität nicht in Rührseligkeit ausarten und das Legendenhafte sich nicht ohne zarte ironische Facettierung geben. Im Grazer Schauspielhaus ist dieses prä-horväthische Märchen auch zu einem Glücksfall fürs Publikum geworden. Einmal, weil der Regisseur Wolf Dietrich es versteht, dem Werk eine neue, moderne Dimension abzugewinnen: nicht nur, daß die Horväthschen Züge deutlicher sichtbar werden als sonst; die Akzentuierung der Sprachnot und der Sprachlosigkeit vor allem der Hauptfiguren, die aus Trotz oder aus Hemmung ihre Gefühle nicht äußern können und dadurch an der heute so oft zitierten Kommunikationsfähigkeit leiden, rückt manche Dialoge in die Nähe von Franz X. Kroetz. Diese sehr aktuelle Sicht des Problems ordnet sich glücklicherweise einer Interpretation ein, die Szene um Szene sehr behutsam, psychologisch genau und mit großer Dezenz ohne grelle Töne auffächert. Der Erfolg dieser Aufführung konnte schon deshalb nicht ausbleiben, weil für den Hutschen-schleuderer Liliom, diesen großsprecherischen, jähzornigen Kraftlackel mit der weichen, empfindlichen Seele, der Schauspieler Rudolf Buczolich von Zürich in die Stadt seiner Lehrjahre gekommen war, um hier diese dankbare Rolle mit der reifen und unglaublich subtilen Kunst seiner darstellerischen Persönlichkeit zu erfüllen. Eine ihm ebenbürtige Partnerin als Julie hatte Buczolich in Lotte Marquardt.

Die Oper hat gleichzeitig ein Mini-Ballettfestival organisiert, das das ungarische Ballett Sopianae aus Pees und das Ballet-Theätre Contemporain aus Angers an je zwei Abenden bestritten. Die ungarische Truppe unter dem Choreographen Imre Eck kreiert einen fast athletisch zu nennenden Tanzstil, der nur in wenigen Augenblicken sich an die Vorbilder des klassischen Tanzes oder des Modern Dance hält. Die Schritt- und Gestaltungskombinationen erscheinen manchmal recht simpel, auf kraftvollen Tanz ausgerichtet und auf schöne Hebefiguren. Auf dem Programm des ersten Abends standen ein etwas ungraziler Kodälyscher „Pfau“, eine stark mit Symbolen befrachtete Interpretation des „Con-certo“ und der recht enttäuschende „Wunderbare Mandarin“, der wie eine Mischung aus Golem und Roboter wirkte. (Beide nach Musik von Bela Bastön.)

Das französische „Ballet-Theätre Contemporain“ gastierte auch in der Wiener Stadthalle.

Bunt waren die Kostüme, ein bißchen grau in grau das Tanzereignis: Einfach steril, was diese junge Com-pagnie aus Angers, „Ballet-Theätre Contemporain“ auf der großen Bühne der Stadthalle nach Workshopmanier abschnurren ließ. 30 Mann hoch waren sie gekommen, um aus ihrem eigentlich umfangreichen Repertoire von etwa 40 Choreographien einiges vorzuzeigen, Stücke, mit denen sie in den USA, im Vorderen Orient, im Fernen Osten gastierten.

Man sollte dabei das Verdienst der Truppe, etwa zur Aufforstung von Theater- und Tanzkultur in der französischen Provinz, nicht schmälern. Man sollte auch ihr ungeheures Engagement in Sachen neue Kunst nicht verkleinern. Denn diese Tänzer haben mit Elan und mit Zähigkeit seit 1968 ein Ensemble geformt, für das immerhin Choreographen, wie John Neumeier („Trauma“), Dirk Sanders („Pasdanses“, mit Rene Goliard) oder John Butler („Kill what I love“, „Itineraires“, „Hi-Kyo“) gearbeitet haben. Und sie haben für ihre mitunter hinreißend hübschen Kostümausstattungen Stars der internationalen Kunstszene, wie Cesar, Alexander Calder, Tal-Coat, Guy Pellaert, engagiert, vertanzen durchwegs sehr gute Musik, von Strawinsky bis zu Berio und Ligetis „Requiem“.

Aber wo diese Nummern Perfektion brauchen, wo brillantes Abrollen von Bildern Atmosphäre kreieren müßte, absolvieren sie ihre Aufgabe eher leger. Steril gerät, was einen Schuß tänzerischer Ironie bedürfte. Da fehlt der parodistische Schwung. Auf ihn wartet man vergeblich. Schade, denn die ambitio-nierte Truppe, die eigentlich dringend eine Persönlichkeit von einem Chef brauchte, bringt sich damit um ihre Bravourparade.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung