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Tanz im Kammerstil

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Sechstes Ensemble Im Reigen internationaler Ballettkompanien beim Festival im Theater an der Wien war das Ballet Rambert aus London, das zwei knappe, teils historische, teils neue Programme vorstellte. Für Wien durchwegs Erstaufführungen. Tanzfanatikerin Dame Marie Rambert hatte ihr Ensemble 1926 gegründet, schickte es erstmals mit „Tra-gedy of Fashion“ des damals blutjungen Frederick Ashton auf die Bühne. 1966 mußte sie es unter dem Druck unüberbrückbarer finanzieller Probleme auf ein Solistenensemble ohne Corps reduzieren. Die Produktion kostspieliger klassischer Ballette wurde aufgelassen. Seither, präsentieren die siebzehn Damen und Herren ausschließlich avantgardistisches Kammerballett. Die Konzentration auf einen typischen RambertrTanzstil, eine Synthese aus klassischer Tanztradition und modernen Techniken, wie das Bestreben, kontinuierlich junge Choreographen und Ausstatter zu neuen Ausdrucks-tnrmpn anzuregen, nräerrn Hie Arheitsweise

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Sechstes Ensemble Im Reigen internationaler Ballettkompanien beim Festival im Theater an der Wien war das Ballet Rambert aus London, das zwei knappe, teils historische, teils neue Programme vorstellte. Für Wien durchwegs Erstaufführungen. Tanzfanatikerin Dame Marie Rambert hatte ihr Ensemble 1926 gegründet, schickte es erstmals mit „Tra-gedy of Fashion“ des damals blutjungen Frederick Ashton auf die Bühne. 1966 mußte sie es unter dem Druck unüberbrückbarer finanzieller Probleme auf ein Solistenensemble ohne Corps reduzieren. Die Produktion kostspieliger klassischer Ballette wurde aufgelassen. Seither, präsentieren die siebzehn Damen und Herren ausschließlich avantgardistisches Kammerballett. Die Konzentration auf einen typischen RambertrTanzstil, eine Synthese aus klassischer Tanztradition und modernen Techniken, wie das Bestreben, kontinuierlich junge Choreographen und Ausstatter zu neuen Ausdrucks-tnrmpn anzuregen, nräerrn Hie Arheitsweise

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Schernbergs „Pierrot lunaire“, von Glen Tetley, einem der profiliertesten US-Choreographen, 1962 für seine eigene Truppe und 1967 für die „Ramberts“ gestaltet, war Herzstück des ersten Abends. Balan-chines Liebldngsbühnenbildner Rou-ben Ter-Arutunian hat es spartanisch ausgestattet: Auf einem Turmgerüst und rund um es herum turnen drei Tänzer: Pierrot, der in Bewegung und Mimik höchst sensibel wirkende Christopher Bruce, Colum-bine, die schicke Gayrie MacSween, und Brighella, den Jonathan Taylor mit Verschlagenheit ausstattet. Sie entfesseln ein quicklebendiges, phantastisch verzerrtes „Commedia dell' arte“-Kammerspiel, das der bizarren Poesie Guirauds kaum nachsteht. Musik und Tanz entwickeln sich voneinander unabhängig. Klassische Elemente werden mit Formen des Modern Dance und der Pantomime durchsetzt. Das Programm gibt als Leitfaden einen Kampf zwischen dem „weißen Clown der Unschuld und dem dunklen Clown der Erfahrung“ an; indes die mystisch-abstrusen Sinnzusammenhänge ahnt man mehr, als sie auf der Bühne Gestalt annehmen. (Silvia Beamish rezitierte die Texte, etwas zu dick und schwerfällig begleitet vom Rundfunksym-phonie-Orchester Bratislava unter Leonard Salzedo).

Rambert-Chefchoreograph Norman Morrice zeigte seine „Pastorale variee“ (Musik: Paul Ben-Haim, Ausstattung: JVadine Baylis). Thema und sechs Variationen bieten weder musikalisch noch tänzerisch Abwechslung, und in der Mitte, dort, wo plötzlich abstraktes Theater auf einer imaginären Bühne gespielt wird, bricht das Stück entzwei. Daß korrekt, mit Verve getanzt wird, rettet die schwache, viel zu lange „Moonlight“-Piece nicht. Nicht mehr so attraktiv wie einst wirken die „Bark Elegies“, eine der historischen Arbeiten des berühmten englischen Choreographen Antony Tudor. Das Entstehungsjahr 1937 ist überall spürbar. Ein pathetischer Lamentoso-Reigen, der aus einer deutschen Holzschnittfolge des verebbenden Expressionismus stammen könnte. Und Mahlers „Kindertotenlieder“ — hier grau in grau gesungen von Thomas Hemsley — lassen sich nicht einfach als „Tanzmusik“ unterlegen. Karlheinz Roschitz

An seinem zweiten Abend hat das Ballett Rambert sehr aufgeholt. Nicht sofort mit dem ersten Stück des Programms, das Christopher Bruce, der virtuose Solist des „Pierrot lunaire“, auf Musik von Händel choreographiert hat: solche Übungen haben wir in den dreißiger Jahren häufig gesehen (der Titel „George Frideric“ kommt uns ein wenig allzu familiär vor).

Darnach erwies sich „Judgment of Paris“ — dessen kecker Titel hier durchaus gerechtfertigt, weil parodiert ist — als Volltreffer, und zwar als humoristischer. Zu den bekannten Schlagern aus der „Dreigroschenoper“, die auf einem Klavier ziemlich jämmerlich exekutiert werden (aber auch das paßt dazu), läßt Antony Tudor sich drei Mädchen, die von berufswegen flott und attraktiv sein sollten, müde und überdrüssig vor einem einsamen Lokalbesucher produzieren, der seinerseits nichts mehr will, als seine Ruh' — und außerdem hat er zuviel getrunken.. Das ist entwaffnend-komisch, und mit angelsächsischer Nonchalance ausgestattet. Als Juno, Venus und Minerva koninte man die Damen Knott, Nystrom und Craig bei ihren erfolglosen Bemühungen bewundern.

Hierauf folgte, als Wiederholung vom Vorabend, ,Pierrot lunaire“, was eine erwünschte Gelegenheit bot, den ersten (positiven) Eindruck nachzuprüfen und zu vertiefen. Auch festigte sich die Uberzeugung, daß man bei diesem Stück auf einige Accessoires (sprich „Requisiten“), vor allem auf die Wäscheleine verzichten sollte.

Das gewichtigste Werk des Abends und des Gastspiels des Rambert-Balletts stand am Schluß. Es führt den enigmatischen Titel „Hazard“, stammt von Norman Morrice (Choreographie), wurde von Nadine Baylis sehr apart ausgestattet und von Leonard Salzedo mit einer ganz ausgezeichneten, tänzerischen Musik versehen: eine mehr als halbstündige Partitur, die trotz ihrer (sujetbedingten) Anleihen bei Strawinskys „Sacre“ wesentlich zur Inspiration des Choreographen und zur Animation der Tänzer beigetragen haben mag. Die Handlung versucht die Menschheitsgeschichte zu kompro-mieren und in recht geglückte symbolische Szenen und Handlungen zu fassen. Die einzelnen Phasen heißen: „Kosmos und Ego“, „Die Töchter Evas“, „Die Turnhalle Adams“, „Der Preis“, „Die Wahl“, „Feier“ (hier sind die „Sacre“-Anklänge am stärksten), „Das Unerreichbare“, „Kampf“, „Die Toten“ (ein wenig irreführend, da es sich nur um einen einzelnen handelt) und zum Schluß eine Doppelszene „Die Jagd — Das Wagnis“. Für eine Ausdeutung des tieferen Sinnes im Programmheft wäre man dankbar gewesen — aber es war auch so recht eindrucksvoll, nicht zuletzt dank der ausgezeichneten Tänzer Citrtis und Taylor, der bereits genannten Damen und des sehr einheitlichen, sehr disziplinierten Ensembles, daß in einigen Szenen vollzählig in Aktion trat.

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