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„Daphnis“ und „Sacre“

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Bereits 1904, also fünf Jahre vor der Gründung der „Badlets Russes“ in Paris, wollte Michel Fokine für das Maryjinskij-Thea-ter in St. Petersburg ein Ballett über die rührende Schäfergeschichte von „Daphnis und Chloe“ machen. Aber erst nachdem sich Dhiaghilew in den Jahren zwischen 1907 und 1909 mit dem gleichen Projekt beschäftigt hatte, kam es zur Einladung an Maurice Ravel, der die umfangreiche Partitur einer „Choreographischen Symphonie in drei Teilen“ in Angriff nahm. Am 8. Juni 1912 war die Pariser Premiere mit Bühnenbildern von Bakst und mit Nijinski und der Karsawina in den Titelpartien. Der große Erfolg stellte sich erst viel später ein, aber heute fürchten sich die meisten Choreographen vor diesem einstündigen Handlungsballett. Daher sieht man es nur selten.

Im „Teatro Massimo“ von Palermo hat sich der etwa 50jährige Ballettmeister Ugo Dell'Ara mit seiner Truppe an diese Aufgabe gewagt. Das „Corps“, dessen Grundlage eine Ballettschule ist, besteht aus etwa 50 Tänzern, davon ist aber nur die Hälfte als Professionelle anzusprechen. Dell' Ära folgte genau dem Libretto und der Choreographie Fokines, gestaltete eine einfache Handlung, oft mehr pantomimisch als absolut tänzerisch, und vermittelte einen recht klaren Eindruck von dem musikalisch so bedeutenden Werk, das unter der routinierten Leitung von Manuel Rosenthal in Chor und Orchester des „Teatro Massimo“ gute Interpreten fand. In den Hauptpartien zeichneten sich Jacques Beltrame und Mady Simmons, Renato Magalhaes und Karen Macgarvin aus. Die Ausstattung durch Maria Antonietta Gambaro war wenig auffallend und befriedigend, zumal wenn man sich an die traumhaft schönen Bühnenbilder und die phantastischen Kostüme Chagalls erinnert, die bis vor kurzem in der Pariser Oper gezeigt wurden.

Als zweites Werk stand Stra-winskys „Le Sacre du Printemps“ auf dem Programm. Es wurde zunächst bei der Uraufführung in der Choreographie des hierfür völlig unzureichenden Nijinski am 29. Mai 1913 ausgepfiffen, dann bereits 1929 in einer neuen Gestaltung durch Massihe rehabilitiert und 1929 in London endgültig zum Triumph geführt. Es war dies eine der letzten (oder die allerletzte) Aufführung, die Diaghilew sah, und es hat ihm große Genugtuung bereitet, daß „auch die Dümmsten“ dieses

Werk jetzt begreifen. — Aber noch 1956 schrieb der inzwischen verstorbene deutsche Ballettkritiker O. F. Regner: „Jeder Choreograph ist überfordert, der diese gewaltige Musik in Szene setzen soll.“ Doch es geschieht immer wieder — und mit Erfolg: so 1932 von Boris Romanow, 1941 durch Aurel von Milloss und zuletzt von Maurice Bejart, dessen Choreographie durch zahlreiche Gastspielreisen und durchs Fernsehen bekanntgeworden ist.

Dell'Ara hat sich nur ganz allgemein an das „Libretto“ von Roerich und Strawinsky gehalten. Es gibt bei ihm auch wenig konsekutive Handlung und kaum Einzelaktionen. Fast immer ist das ganze Corps auf der Bühne und zelebriert, in sieben Abschnitten, ein archaisches Ritual: ohne Kostüme, nur in Trikots, und ohne Kulissen. Das ist couragiert und eindrucksvoll, auch wenn es viele gymnastische Elemente in dieser Choreographie gibt und man den Eindruck hatte, daß die letzten Minuten nicht mehr so ganz durchgeprobt waren. Die Aufführung wurde aber spannend durch die Hauptakteurin. Sie heißt Taina Beryll, kommt aus der Bejart-Truppe und ist eine faszinierende Tänzerin, die der Ballettmeister zu Recht in den Mittelpunkt gestellt hatte: nicht als rituelles Opfer, sondern die Aktionen dominierend. — Auch bei diesem Ballett hat das Orchester unter Rosenthal erstaunlich taktsicher und eindrucksvoll musiziert.

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