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John Cranko als Katalysator

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Hauptattraktion einer der letzten Ballettpremieren der Bayerischen Staatsoper war die Erstaufführung der „Katalyse” von John Cranko, nach dem Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester von Dimitrij Schostako- witsch. Der Begriff der Katalyse stammt aus dem naturwissenschaftlichen Bereich und beschreibt die Beschleunigung oder Verzögerung des Ablaufs einer chemischen Reaktion durch den Katalysator. So hat der neue Ballettdirektor der Münchner Oper, John Cranko, die zentrale Figur des „Katalysators” geschaffen, tatsächlich aber ist er selbst diese Kraft, die hier in ihrer choreographischen Eigenschaft Beschleunigungen und Verzögerungen bestimmt, und es ist erfreulich, daß wir keine chemischen Reaktionen als Ergebnis hinnehmen müssen, sondern verspielte Figuren und Gruppierungen anmutiger, menschlicher Wesen, Angeregt wurde Cranko zu diesem phantasievoll-witzigen Stück von der Musik des russischen Komponisten Schostakowitsch, der sich hier ganz in die Nachbarschaft von Prokofieffs „Symphonie classique” begibt und bisweilen auch Jazzelemente einbezieht, ohne sie jedoch zu einer tragenden Funktion gelangen zu lassen. Es ist ein geistvolles, musi- kantisches Werk, dem man unverständlicherweise in unseren Konzertprogrammen kaum begegnet. Heinrich Bender dirigierte feinnervig und die Solisten Günter Louegk (Klavier und Gerd Zapf (Trompete) spielfen’Willaht. lataerioiO zsb meili „Tanz ist keine Literatur, er kann nur durch Tanz zum Sinnbild werden”, schreibt Cranko, und so sollte man auch nicht einer Handlung im üblichen Sinne nachspüren, sondern den Tanz als etwas Absolutes, in sich Geschlossenes aufnehmen. Heinz Bosi sorgte in seiner Rolle als „Katalysator” für die entsprechende ! optischen, formalen und dynamischen Mischungen der „Farben” und erntete großen Beifall für seine vortreffliche tänzerische Leistung. Die Gruppen waren in bester Form und fanden mit den solistischen Partien, die von Konstanze Vernon, Gislinde Skroblin, Kenneth Barlow und Stefan Erler virtuos interpretiert wurden, zu harmonischem Einklang. Bühnenbild und Kostüme waren von Dorothea Zippel ganz auf Farbreize abgezielt. Die Einstudierung der Choreographie Crankos hatte Georgette Tsinguaridis besorgt. Nichts gegen diese hervorragende Ballettmeisterin, aber man darf in München doch erwarten, daß auch die Einstudierung der Chef des Balletts persönlich übernimmt

Der Abend begann mit zwei Wiederaufnahme !, die man lebhaft begrüßte, da sie zum Besten zählen, was in München in den letzten Jahren an Ballettkunst gezeigt wurde. Zunächst Tschaikowskys „Serenade” in der meisterhaften Choreographie George Balanchines, mit Konstanze Vernon, Margot Werner, Hella Schönbrunn, Kenneth Barlow, Wolfgang Reuter und einem erstaunlich homogenen Corps. Reinhard Linz dirigierte anpassungsfähig, und die Streicher des Bayerischen Staatsorchesters ließen Tschaikowskys Kantilenen mit viel Vibrato aufblühen. Es folgte der schon legendäre „Grüne Tisch” von Kurt Jooss. Erneut erwies er seine Gültigkeit und Wertbeständigkeit. Günter Louegk und Karl Wingler begleiteten an zwei Flügeln (Musik: F. A. Cohen) und dieser „Totentanz in 8 Bildern” erreichte, trotz einiger Passagen, die, mit dem Expressionismus, innerhalb unseres modernistischen Bühnenlebens bereits das, Zeitliche gesegnet habęp, jene Faszination, die nur von überdauernden Kunstwerken ausgeht. Kurt Jooss war selbst nach München gekommen, um sich noch einmal um seine Choreographie zu kümmern, und es wurde eine exemplarische Aufführung dank der äußerst intensiven Gestaltung durch Winfried Krisch, Wolfgang Reuter, Stefan Erler, Heidi Högl, Margot Werner, Kenneth Barlow, Natascha Trofimowa und Heino Hallhuber. Wenn man hört, wie it! Paris, am „Grünen Tisch”, um lächerliche Formalitäten gerungen wird, während in Vietnam weiter gekämpft und gestorben werden muß, steht die Aktualität dieses Stoffes gespenstisch-greifbar vor uns!

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