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Gastspiel des „Grand Ballet“ in der Oper

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Sie heißen Nina Vyroubova und Jacqueline Moreau, Maria Santestevan, Daphne Dale, Liliane van de Velde und Milena Vucotic, die Tänzerinnen des „Grand Ballet du Marquis ¡de Cuevas“, und die Namensliste der Männer;1 ist fast ebenso bunt. Die Mitglieder dieser Truppe stammen nicht nur aus der halben Welt, sondern es sind auch ausgeprägte Individualitäten, Tänzer und Tänzerinnen nicht nur von Beruf, sondern gewissermaßen von Geburt, und sie unter einen Nenner, das heißt, unter das Diktat eines bestimmten Stiles zu bringen, dazu bedürfte es vielleicht einer stärkeren Hand als der des Ballettmeisters Daniel S e i 11 i e r, zumal auch die Choreographen den verschiedensten Richtungen huldigen.

Innerhalb einer Woche wurden von der Truppe des Marquis de Cuevas, der Mäzen und Manager in einem ist, zwei Programme mit insgesamt acht verschiedenen Balletten vorgeführt. Außer zwei Solonummern sahen wir zwei berühmte Tanzschöpfungen vom Typ „Ballet blanc" : „La Forêt romantique", auf Musik von Glazunow, von John Tarras, mit einem stimmungsvollen Bühnenbild von Dayde, und „N o i r et Blanc“, eines der glanzvollsten Werke dieser Gattung, von Serge Lifar. auf Musik aus „Namouna" von Lalo: ferner zwei Handlungsballette älteren Datums, die romantisch-hoch- dramatische „Somnambule“ von Balanchine (Musik von Bellini, in der Bearbeitung Rietis), vor einer romantischen Kulisse und mit Kostümen von Delfau, und „Le beau Danube", ein heiteres Prater-Divertissement auf Musik von Johann Strauß, in der Choreographie von Massine und mit elegant- pariserischen Dekors und Kostümen von Roberto Coppa, das zwar seit seiner Uraufführung durch das „Ballet Russe de Monte Carlo“ Anno 1933 überall in der Welt großen Erfolg hatte, dessen Vorführung in Wien aber recht überflüssig erschien. (Schließlich haben wir ja unseren eigenen Kitsch.)

Der Gesamteindruck nach der Darbietung dieser Werke war, wie schon im vorigen Jahr: eine Nobeltruppe, ein Luxusensemble, dessen Ehrgeiz offensichtlich nicht die exercisemäßige Exaktheit ist, das aber trotzdem auch als Corps, vor allem freilich in der Einzelleistung, mehr Eleganz, Anmut, Virtuosität und Brillanz zu bieten hat, als man gemeiniglich antrifft. Dazu kommt, bei den Spitzentänzern und Hauptrollenträgern, eine bedeutende Kraft des Ausdrucks, die sich in fast schauspielerischen Charakterstudien manifestiert, so bei Nina Vyroubova als Nachtwandlerin und Isolde, bei Nicolas Polajenko als Sebastian, bei Serge Golovin als Tristan und als

H i g n t o.w e r, welcher der Titel einer „PrjmA Ballerina, ässoluta“ wohl geziemt.”. L '

Damit sind wir bei den beiden zeitgenössischen

Werken angelangt: einem „S e b a s t i a n“ - Ballett von Gian-Carlo M e n o 11 i, in welchem das Motiv des Opfertodes abgewandelt und in das Venedig des 17. Jahrhunderts transponiert wird (in einer wir-

kungsvollen Choreographie von Edward Caton, vor anmutigen venezianischen Kulissen und mit Kostümen von Leonor Fini), und das Ballett „Tristan F o u“ nach einem Libretto, mit Dekorationen und Kostümen von Salvador Dali. Dieses Werk hat die zu erwartende Schockwirkung auf das Publikum ausgeübt und wurde von der Wiener Kritik fast einmütig abgelehnt. Aus dem Orchester erklingt nämlich die bekannte Wagner-Musik (in einer handwerklichen, nicht ungeschickten Zusammenstellung von Ivan Boutkinoff): zunächst das Vorspiel zum 1. Akt, dann der große Nachtgesang aus dem 2. Aufzug, anschließend der Liebestod und noch einige andere Fragmente. Dies allein erschien manchen als „Sakrileg". Aber gerade in Wagners Musik ist das Element des Zauberischen und Phantasmagorischen, auf das es Dali ankam, so stark ausgeprägt, wie in keiner Musik vor ihm (angefangen vom „Holländer“, über das „Tannhäuseri'-Bacchanal, die Beschwörung der Elemente im „Ring", bis zur Klingsor-Welt in „Parsifal“). Auch die Gestalt Tristans, „des Narren“, der in seiner Meereseinsamkeit über die Abwesenheit Isoldens verzweifelt ist, von Wahnsinn gepackt wird und seinen Visionen erliegt, ist keine Erfindung Dalis (und daher auch keine Profanierung), sondern geht auf ein altes Sagenmotiv zurück, das bis herauf zu Ernst Hardts „Tantris der Narr“ von 1908 immer wieder durchschlägt. Dazu hat Dali ein sich vielfach veränderndes Bühnenbild und Kostüme geschaffen, auf die tatsächlich einmal das Prädikat von der „wuchernden Phantasie" paßt. Die zwölf tränenden Augen links und rechts am Bühnenrand sind ebenso archaische Symbole wie die riesigen Pferdeköpfe (keltisch). Daß die letzteren auf Säulen aufruhen, sich neigen und dabei ein grell beleuchtetes Trüm- mer-Interieur freigeben, in das sich winkende Arme strecken, daß der traumhaft schöne Hintergrund eine Böcklin-Landschaft darstellt, aus der zwei winzige Autos stromlinig in den Himmel sausen (was wieder zu Böcklin nicht passen will) — das sind jene von Dali bewußt angewandten Verfremdungseffekte, die zum Abc des Surrealismus gehören. — Diese Kulisse allein, dazu die phantastischen Kostüme, in die er seine Isolde, seine Schimäre, seine Blumen, Todesgeister und Soldaten steckt, sind so reich und faszinierend, daß man prima vista nicht nur von der Choreographie Massines (die mittelmäßig war), sondern auch vom Sujet abgelenkt wird. Was. freilich nur beweist, ein wieviel bedeutenderer Künstler — trotz seiner persönlichen Extravaganzen — Dali ist als seine Partner in diesem Ballett. — In der Wiener Oper hat man jedenfalls etwas zu sehen bekommen, was man nur von Bildern und vom Hörensagen kennt, nämlich etwas von der Art des Russische 1 BsdlettSS Ortter DfaghilPws afiSittngtlJin Paris von 1909. bis etwa 1926, als Bakst, Benois, Picasso, Derain, Matisse, Braque, Gris, Utrillo, Miro und andere berühmte zeitgenössische Maler als Bühnenbildner und Kostümzeichner tätig waren .

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