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Phönix mit Lähmungen

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Ein Abend höchster Ansprüche sollte es werden: Jacques Offenbachs Meisteroper „Hoffmanns Erzählungen“, seit hundert Jahren von Direktoren mutwillig verstümmelt und von Regisseuren aus Angst vor Überlängen, Unglaubwürdigem und Unkenntnis der wahren Qualitäten verdreht und zerzaust, sollte endlich seine Originalgestalt erhalten. Ein mutiges Unternehmen also, an das die Wiener Volksoper sich mit einem prominenten Team wagte: mit dem Dirigenten Diet-fried B e r n e t, Wiener Generalmusikdirektor in Mainz, dem international gefeierten Film- und Schauspielregisseur Johannes S c h a a f („Trotta“, „Leonce und Lena“) und dem „Phantastischen-Realismus“-Papst Ernst Fuchs. Und Phönix Hoffmann ist wirklich aus der Asche gestiegen. Aber bei seinem ersten Höhenflug hatte das schillernde Luxustier mit mancherlei Lähmungen zu kämpfen und mußte gleich Federn lassen.

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Ein Abend höchster Ansprüche sollte es werden: Jacques Offenbachs Meisteroper „Hoffmanns Erzählungen“, seit hundert Jahren von Direktoren mutwillig verstümmelt und von Regisseuren aus Angst vor Überlängen, Unglaubwürdigem und Unkenntnis der wahren Qualitäten verdreht und zerzaust, sollte endlich seine Originalgestalt erhalten. Ein mutiges Unternehmen also, an das die Wiener Volksoper sich mit einem prominenten Team wagte: mit dem Dirigenten Diet-fried B e r n e t, Wiener Generalmusikdirektor in Mainz, dem international gefeierten Film- und Schauspielregisseur Johannes S c h a a f („Trotta“, „Leonce und Lena“) und dem „Phantastischen-Realismus“-Papst Ernst Fuchs. Und Phönix Hoffmann ist wirklich aus der Asche gestiegen. Aber bei seinem ersten Höhenflug hatte das schillernde Luxustier mit mancherlei Lähmungen zu kämpfen und mußte gleich Federn lassen.

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An der neuen kritischen Fassung des Musikwissenschaftlers Fritz Oeser hat das freilich nicht gelegen. Denn Oeser ist akribisch genau vorgegangen, ums Sinnfällige, Sinnlich-Originäre bemüht gewesen. Was er aus Offenbachs bisher unausgewertetem Skizzenbuch in der New Yorker Pier-pont Library, aus Manuskripten in Privatbesitz und aus Vergleichen der verschiedenen Ausgaben rekonstruieren konnte beziehungsweise an Neuem schöpfte, reicht nun tatsächlich aus, den zum Torso devastierten Dreiakter wieder zu einem veritablen großen Opernfünfakter werden zu lassen, übrigens mit großteils sogar originalen Rezitativen (nur leider deutsch statt französisch).

Daß jedenfalls „Hoffmann“ bisher nie in der Originalgestalt das Licht der Bühnenwelt erblickte, lag wohl vor allem an des Komponisten plötzlichem Tod im Oktober 1880, fünf Monate vor der Uraufführung... Man hatte es eilig. Rezitative wurden durch Dialoge ersetzt, noch nicht endgültig Dazu-komponiertes einfach in Prosa belassen oder überhaupt gestrichen. Vor allem aber der Giulietta-Akt hat im Laufe dieses Jahrhunderts die schrecklichsten Verstümmelungen über sich ergehen lassen müssen. Was original vorlag, sah unfertig aus. Also liquidierte man diesen vierten Akt völlig. Später montierte einer Fragmente daraus zu einem zweiten Akt, aus dem allerdings kaum etwas über die Beziehungen Schlemihls zu Giulietta und Dapertutto hervorging, ja, eine Episode wurde frei dazuerfunden.

All diese Fragmente erfahren nun empfindliche Korrekturen. Einschneidende operative Eingriffe, die über Kosmetik weit hinausgehen. Und das war gut so. Zwar ist natürlich auch jetzt dieser neugeborene „Hoffmann“ nicht absolut original (der Korrektheit halber muß man das anmerken): Das Zugstück „Spiegelarie“ ist natürlich nicht aus der Oper. Und die weltberühmte Barcarole wie Hoffmanns Trinklied stammen aus Offenbachs „Rheinnixen“. Diese Montage hat er noch selbst vorgenommen.

Wichtiges Neues wurde allerdings entdeckt: ein Soloquartett und eine Verführungsarie Giuliettas, die dieser Szene erst logisches Gewicht gibt; eine Dreiteilung des Venedigbildes mit einer zentralen Spielsaalszene entspricht der Originalgestalt. Vage Angedeutetes gewinnt plötzlich Leuchtkraft; schemenhafte Figuren werden scharfkonturig. Die große Überraschung ist aber die Figur der Muse, Hoffmanns poetischem Schutzengel, der sich in den treuen Niklas verwandelt, um dem Dichter immer nahe zu sein. Da ist ein Coup geglückt. Aus einer fatal kastrierten Mitläuferrolle mauserte sich eine den großen Frauenpartien ebenbürtige Figur, die Spielleitungsfunktionen zugewiesen bekommt, den Dichter psychisch motiviert. Und dann gibt es auch noch ein Finale mit großem Chorpathos, geradezu „Don Giovanni“ oder „Falstaff' verwandt.

Das alles zu inszenieren, ist freilich ein anderer Brocken, als jede gängige „Hoffmann“-Regie. Aber wem soll das gelingen, wenn nicht einem Künstler vom Kaliber Schaafs? Doch Schaaf ist dieses sehr heikel gewordene, poetisch verdichtete Werk entglitten. Wenn er es überhaupt je fest in Händen hatte. Was er vorzeigt, ist Unregie. Ein karger Versuch, handfeste Tragikomödie und subtiles Märchen, Banales und Illusionäres, Wirklichkeit und Überwirklichkeit, Liebes- und Todesmystik in einen Guß zu zwingen. Vor allem, womit er und Ausstatter Ernst Fuchs bindende Einheit erzeugen wollen - nämlich mit der stets präsent bleibenden Kellerstube, in der die Prospekte wechseln und in die die Welt der Phantasien bloß hereinragen - haben sie die Oper allzu eingeengt. Der Ausbruch der Phantasie bleibt im Gemäuer stecken (die Beleuchtung oft in dürftigen Ansätzen). Reizvolle Ansätze täuschen nicht darüber hinweg, daß beide hätten weiter vordringen müssen in die Phantastik dieser Selbstbespiegelungen, mystischen Lieben, Hirngespinste.

Der Mut scheint Schaaf und Fuchs verlassen zu haben. Und so wirken viele Detaüs leger hingeworfen, unmotiviert, nicht eingebunden in große Linien. Anderes artet sogar in Peinlichkeiten aus: Im Giulietta-Akt etwa, wenn der Bordellbetrieb durch eine peinliche Girl-Show vor rotem Monstervorhang verdeutlicht wird, wenn Giulietta zum Gelächter des Publikums mit einem Riesensprung in ihr Himmelbett hüpft, wenn die Gondel durch die Luft entschwebt; oder im Antonia-Akt, wenn die Mutter als teuflischer rothaariger Vampir aus ihrer Gruft fährt und Doktor Mirakel krault.

Von Ernst Fuchs hätte ich mir da Kühneres erwartet, tieferes Eindringen in die Welt mystischer Beziehungen, beklemmendere Bilder für diese Visionen von Tod, Entpersönlichung im Verlust des Schattens, Verlust der Identität im Verlieren des Spiegelbildes.

Man würde über viele dieser Details wahrscheinlich leichter hinwegsehen, wenn nicht auch noch eine derart uneinheitliche, oft problematische' Besetzung Anlaß zu noch genauerer Prüfung gäbe. Denn daß „Hoffmann“ trotz vieler Revisionen und trotz dem Entfernen mancher Bravourtöne (Transposition usw.) noch immer eine Oper brillanter Farben geblieben ist, Steht außer Frage. Nur - das will und will die Besetzung nicht präsent werden lassen. So sehr sich Dietfried Bernet auch um scharfe Konturen, um leuchtende Kantilenen, Exaltiertheit im Farbenrausch der Bilder bemüht, will dieses Sängerensemble doch nicht so recht mit auf den Höhenflug. Donald Grobe als Hoffmann: Da merkt man deutlich die Grenzen der Stimme; ariose Schönheit, der Zauber des Schmelzes fehlen. Sosehr Grobe sich um einen Himmelstürmer bemüht, es halten ihn Bleigewichte am Boden fest. Marjon Lambriks singt einen frischen, sympathischen Niklas, eine poetisch zarte Muse. Julian Patrick (Lindorf, Coppe-lius, Mirakel, Dapertutto) differenziert die Figuren kaum, spielt ein bißchen Schmiere ä la Kleinstadt. An die große Sängertradition, an einstigen Glanz der Namen in dieser Partie, darf man nicht mehr denken. Und die großen Frauenpartien: Julia Migenes (Olympia), Regina Winkelmayer (Antonia), Sigrid Martikke (Giulietta) und Sylvia Holzmayer (Stella) geben ihr Bestes. Aber für diese großen Primadonnenpartien ist das immerwieder mehr als eine Spur zuwenig. Solide im Einsatz: Peter Baillie, Karl Dönch, Peter Dra-hosch, Aidyl Grim.

Es hätte eine Sensation werden sollen und können. Man hat sich mit beiläufigen Ausgrabungsarbeiten begnügt.

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