Unbewältigt und überwältigend

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Auftakt bei den Salzburger Festspielen mit misslungener "Zauberflöte" und einer fulminant interpretierten "Salome".

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Auftakt bei den Salzburger Festspielen mit misslungener "Zauberflöte" und einer fulminant interpretierten "Salome".

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Drei höchst lebendige Enkelkinder, die bald zu den drei Knaben mutieren, ein Großvater, der den Großteil des Abends damit beschäftigt ist, ihnen die Geschichte der Oper zu erzählen. Eine Großmutter, die als Königin der Nacht wiederkehrt und am Ende einem altmodischen Panzerwagen entsteigt. Schließlich spielt diese "Zauberflöte", mit der die Salzburger Festspiele den Reigen ihrer Musiktheaterpremieren eröffneten, im Jahr 1913, am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Gesehen zuerst aus der Perspektive von Kindern in einem Wiener Bürgerhaus, dessen Ambiente sich ebenso gut im viktorianischen England verorten ließe, später aus dem Blickwinkel einer von amerikanischen Comics aus dem Beginn des vorigen Jahrhunderts inspirierten Zirkusatmosphäre, ehe bei der Feuer-und Wasserprobe Videos das Greuel der kommenden Kriegsereignisse unmissverständlich vorausahnen lassen.

Neue Erzählart

Es ist eine neue Erzählart, die sich die von den Wiener Festwochen bekannte amerikanische Regisseurin Lydia Steier für diesen Mozart hat einfallen lassen. "Ein Werk der Aufklärung in Zeiten der Verdunkelung" nennt sie ihr Konzept, das vor allem mit einer Vielzahl an Assoziationen aufwartet, mit Bühnenbildern (Katharina Schlipf), welche kindliche Fantasie mit Metaphern von Macht, Liebe und Toleranz verbinden wollen. Sie lenken nicht nur von der Musik ab, sondern erscheinen bald mehr einer zufälligen Buntheit als einer klaren Botschaft geschuldet. Dazu trägt auch die Idee des Erzählers bei, den Klaus Maria Brandauer unterschiedlich überzeugend gab, der nicht selten Worte vorkaut, die anschließend die Musik wiedergibt und sich am Ende unvermutet zurückzieht.

Dass es nicht genügt, über historische Musizierpraxis informiert zu sein, sich mit einmal rasant dahineilenden, dann mit übertrieben langatmigen Tempi weder ein Erzählfluss noch Spannung herstellen lässt, zeigte das Dirigat von Constantinos Carydis, der es der ohnedies nicht stimmigen Sängerriege damit noch schwerer machte. Matthias Goerne, hier zum Zauberer (!) gestempelten Sarastro, mangelte es an Tiefe, Christiane Kargs als Papagena (!) kostümierten Pamina an Glanz und Albina Shagimuratovas Königin der Nacht -so sicher sie ihren Part absolvierte - an leuchtender Brillanz. Schmalspurig Mauro Peters in Offizierskleidung gezwängter Tamino. Dass die Regie Papageno zu einem Fleischer umgedeutet hat, schien sich Adam Plachetka auch vokal sehr zu Herzen zu nehmen. Solide auch die übrigen Protagonisten sowie die überraschend wenig präzise und wortdeutlich agierende Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor.

Anders die Premiere von "Salome" tags darauf, diesmal nicht im Großen Festspielhaus, sondern in der Felsenreitschule, deren Arkaden Romeo Castellucci verdecken ließ, um den Eindruck eines in sich geschlossenen Raumes zu vermitteln, aus dem kein Entrinnen möglich ist. Auch er hat sich für eine unkonventionelle Inszenierung entschieden. So deutet er den Tanz Salomes, die er dafür auf einem Würfel in embryonaler Haltung verharren, fast von einem Stein zermalmen lässt, zu einem Traum des Herodes um. Anstelle ihres üblichen Kusses des Kopfes des zuvor auf ihr Geheiß getöteten Jochanaan umgarnt sie seinen kopflosen Rumpf - beobachtet vom Haupt des Ermordeten, der sich als Pferdekopf entpuppt. Ein Hinweis, dass Jochanaan in seiner finsteren Zisterne mit Tieren zusammenleben musste und deren Eigenart für sich verinnerlicht hat.

Ungewohnt auch, dass Salome letztlich zu einem Stein erstarrt. Damit kann sie sich zwar allen Begierden entziehen, nicht aber der Macht des sie für ihre Maßlosigkeit mit dem Tod bestrafenden Stiefvaters Herodes. Für sich sprechend auch, wie Herodes und seine Frau Herodias angesichts eines sich immer stärker in die Szenerie drängenden schwarzen Mondes verängstigt vom Ort des grausamen Geschehens flüchten. Ebenso, wie zwei wie Wachsfiguren einander gegenübergestellte Boxer schließlich zwei Arme um Jochanaan drapieren, ihn damit zu einem Sinnbild des Gekreuzigten machen.

Starke, beredte, mitunter rätselhafte Bilder, die nicht nur die Vielschichtigkeit des Sujets aufzeigen, sondern die Figuren und ihr jeweiliges Handeln näher erklären. Dafür hat man mit John Daszak als machtvollem Herodes, dem betörend phrasierenden Julian Prégardien als Narraboth, dem markant artikulierenden Gábor Bretz als Jochanaan und der schauspielerisch wie gesanglich grandios ihre Herausforderung als Salome meisternden Asmik Grigorian an der Spitze ebenso klug ausgesuchter Darsteller eine ideale Besetzung engagiert.

Dramatischer, klangmächtiger, als es Franz Welser-Möst und die von ihm zu Höchstform geführten Wiener Philharmoniker souverän vorzeigten, lässt sich diese stets in das entsprechende gleißende Licht getauchte, wie in einem Guss ausgebreitete anspruchsvolle Strauss-Partitur nicht realisieren. Ein Standard, an dem man die folgenden Salzburger Musiktheaterproduktionen messen wird.

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