Allegorie des Erwachsenwerdens

19451960198020002020

Eine neue "Zauberflöte" in der Wiener Staatsoper: Mozarts Meisterwerk als Geschichte von Kindern, die im Spiel erwachsen werden.

19451960198020002020

Eine neue "Zauberflöte" in der Wiener Staatsoper: Mozarts Meisterwerk als Geschichte von Kindern, die im Spiel erwachsen werden.

Werbung
Werbung
Werbung

Wolfgang Schüssel in Brüssel? Hilmar Kabas beim Jahrestreffen des Tortenherstellerverbandes? Gemütliche Orte im Vergleich zu jener Löwengrube, in die Marco Arturo Marelli gestiegen ist - und die er unbeschadet verlassen hat. Diesem Regisseur nämlich gelang das beinahe unmögliche Kunststück, mit einer ausgezeichneten Arbeit bei einer Premiere in der Wiener Staatsoper nicht ausgebuht, ja bejubelt zu werden. Dies ist umso erstaunlicher, da es sich dabei um kein geringeres Werk als "Die Zauberflöte" von Wolfgang Amadeus Mozart handelt, eines der drei meistgespielten Werke des Opernrepertoires, das Eingemachte des Eingemachten sozusagen, und die "wienerischste" aller Mozart-Opern, worauf Wiener ganz besonderen Wert legen.

Der gesanglich und musikalisch höchstklassigen Vorstellung hat Marelli ein leicht verständliches Regiefundament gelegt, so dass diese "Zauberflöte" für Puristen gerade noch als werktreu durchgeht, allen anderen aber dennoch eine über die Handlung des Zaubermärchens hinausgehende Bedeutung vor Augen führt. Dabei wird Mozarts beliebtestes Werk als Allegorie des Erwachsenwerdens gedeutet.

Aufgehängt ist die Geschichte an den drei Knaben, die in einer alten Holzkiste eine Flöte und eine Spieluhr gefunden haben. Im kindlichen Spiel imaginieren sie eine Geschichte zu diesen Gegenständen, die Geschichte von Tamino und Papageno, die von der imposanten Königin der Nacht angestachelt werden, deren Tochter Pamina zu suchen und aus den Händen des ominösen Sarastro zu befreien. Aus der Kiste der Kindheit heraus sieht die Welt noch aus wie ein Märchen, Marellis Bühne ist anfangs ganz in Kindertheaterästhetik gehalten. Dann jedoch hebt sich der Vorhang, der die Welt des Kindes von jener der Erwachsenen trennt: Die gemütliche Holzkiste zersplittert surreal und wächst in der dem Kindsein entwachsenden Fantasie ins Riesenhafte. Vorbei ist es mit der kindlichen Geborgenheit, eine windschiefe Welt voller Abgründe und Lücken tut sich auf, in der man leicht den Halt verliert. Das Leben eben.

Zwei Welten Was als spannendes Abenteuer beginnt, erweist sich für die Knaben als Schlüssel zum Erwachsenwerden. Das Kindheitstrauma Schule kommt auf sie zu, Sarastros Reich entpuppt sich als eine Art humanistische Bildungsinstitution, deren Direktor Sarastro ist. Sie reifen, werden vielleicht ein bisschen altklug, bewahren schließlich zwei verzweifelte Figuren, Pamina und Papageno, vor dem Selbstmord. Den Knaben bleibt nunmehr die Kiste der Kindheit verschlossen, nur Papageno und seine Papagena ziehen sich in diese Welt der Unwissenheit und der Unschuld zurück und kuscheln sich in die Geborgenheit der Holzkiste. Immerhin haben die beiden von der Weisheit gekostet und sie als zu schal empfunden, die Königin der Nacht und ihre drei Damen haben gar nie davon probiert. Entsprechend verändert sich ihr Bild im Kopf der Kinder: Ihr anfänglicher Glamour verblasst und sie verwandeln sich in schäbige Ignoranten.

Für die großen Rollen hat die Staatsoper eine Reihe von Spitzensängern aufgeboten, die mit höchster Sangeskunst brillieren. Scheinbar mühelos meistert die umjubelte Natalie Dessay die aberwitzigen Koloraturen der Königin der Nacht, dabei bleibt der quirligen Französin noch genug Puste für exzentrische Gestik. Dass Franz Hawlata kein Wiener, sondern ein bayrischer Papageno ist, wird ihm nicht übelgenommen - denn dieser volkstümliche Vogelhändler trifft offenbar voll den Geschmack des Publikums. Dafür ist seine Papagena (Katalin Halmai) umso wienerischer.

Traumpaar Auch Michael Schade als Tamino und Juliane Banse als Pamina sind ein gesangliches Traumpaar: Ihre lyrischen Stimmen strahlen edel und tönen innig. Eric Halfvarson zieht als Sarastro alle Bass-Register und klingt noch in den tiefsten Lagen voll und erhaben. Sehr individuell gestalten die Drei Damen Ingrid Kaiserfeld, Stella Grigorian und Svetlana Serdar ihre Partien. Nur John Dickie als Monostatos enttäuscht ein wenig, aber die Rolle des bösen schwarzen Mannes ist sowieso das Problemkind der Oper, für das selbst Regisseur Marelli keine Therapie gefunden hat.

Aus dem Orchestergraben erklingt Mozart, wie er sein soll, mehr ist dazu nicht zu sagen. Sir Roger Norrington dirigiert unprätentiös, so bescheiden wie sein Auftreten, vielleicht ein bisschen unterkühlt, aber das ist Geschmackssache und daher irrelevant. Was kann schon schiefgehen, wenn das Staatsopernorchester, vulgo Wiener Philharmoniker, die "Zauberflöte" spielt?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung