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Mozart und Chagall in New York

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Um die von der Metropolitan Opera präsentierte Neuinszenierung der „Zauberflöte“ ist ein Kritikerstreit entbrannt, welcher die Gemüter auf geraume Zeit erregen dürfte. Den unmittelbaren Anlaß dazu gab das Debüt Marc Chagalls auf dem Gebiet des Musiktheaters. Die von ihm entworfenen Bühnenbilder und Kostüme fanden den einhelligen Zuspruch des Premierenpublikums, das außerdem recht deutlich die kongeniale Zusammenarbeit des berühmten Malers mit Josef Krips, dem Dirigenten, und Dr. Günther Rennert, dem Regisseur des Werkes, verspürte. Im Brennpunkt der Auseinandersetzung steht die Frage: Haben wir es diesmal mit Mozarts oder mit Chagalls „Zauberflöte“ zu tun? Ich glaube, das Problem ist akademischer Natur und läßt sich nicht durch Haarspalterei lösen. Im Grunde genommen hat Chagall nichts anderes getan als Mozarts Farben zu komponieren. Er hat sich drei Jahre lang mit allen Gegebenheiten beschäftigt und ist nach diesem gründlichen Befassen mit der Materie zu einem vollen Erfassen ihrer Substanz gekommen.

Die Oper wird (zum erstenmal seit 40 Jahren) in deutscher Sprache gesungen. Ihre Musik spiegelt sich in Farben von ungewöhnlicher Leuchtkraft, ein in Licht getauchtes Bühnendekor verleiht den Klängen stereophonische Dimensionen. Diese Verschmelzung des tönenden mit dem visuellen Panorama resultiert in einer selten wahrgenommenen Einheitlichkeit des Ganzen. In einer Vermenschlichung der doppelschichtigen und sich dem amerikanischen Betrachter nicht auf Anhieb . erschließenden „Handlung“. Mit den ersten Takten des Vorspieles teilt sich der Vorhang und man erblickt einen „Zwischenvorhang“, der das große Gesamtrepertoire des Künstlers offenbart. Es ist eine Chagallerie voll der bizarrsten Ideen: zehnfüssige Reptilien, zweiköpfige Fabelwesen, geigende j Vögel, ein rückenschwimmendes Mädchen, exotische Gewächse, Vogelfänger in Miniaturformat, Glockenspiele, zahllose allegorisch deutbare „Visionen“; irgendwo sitzt ein Knabe vor einem Spinett — ist es Mozart selber, der diese Märchenwelt in Töne faßt? So bunt-klecksig sich diese phantasievoll hingepinselten Gestalten dem Auge offenbaren, so wenig beeinträchtigen sie die Aufnahme der Musik durch das Ohr. Man lauscht ihr — bis zum feierlichen Finale — im Bann bezwingender Durchgeistigkeit und läßt sich auch nicht durch die überraschendsten Kunststücke von ihr ablenken, mit welchen der moderne Bühnenapparat aufspielt.

Die Magie Chagalls verknüpft Volkstümliches und Singspielhaftes mit Mystischem und Grandiosem; die Freimaurer-Symbolik wird abgeschwächt, das Gewicht lagert deutlich auf dem Ethischen. Ich hatte den Eindruck, es müsse Chagall eine durch Farben und Formen veräußerte Karfreitagzauberstimmung vorgeschwebt haben — eine entsühnte Allnatur unter dem gnadenvollen Lächeln eines verzeihenden Madonnenantlitzes beim Richtspruch gegen die Königin der Nacht und deren drei Vasallinnen, und eine Menschenverbrüderung im Sonnenheiligtum Sarastros vor der gebückten Leidensfigur eines das Kreuz aller Kreatur tragenden Ahasver.Prächtig wie die lose schwebenden Vorhangstreifen in ihren fließenden Pastellfarben sind auch die Kostüme: keines wirkt überladen, nichts ist oiutriert. Nicht Putten sind diesmal die drei Knaben, sondern in faltenwerfende Roben gehüllte, kindlich-unschuldige Königshofen aus dem Morgenland. Und die von allen Seiten gemächlich von Taminos Flöte angelockten Tierie sind drollig gestaltete Vorweltwesen, deren jedes seinen choreographisch vorgezeichneten Verhaltenscharakter bewahrt.

Dies alles erhält Ausdruck, Bewegung, Leben von Rennerts freizügig waltender Regie. Er spart nicht mit Tricks, aber er verstößt nirgends gegen die Gesetze der Märchenwelt, in der eben das gänzlich Unmögliche glaubhaft und das schier Wunderbare gestattet ist. Man hat auch seit langem Opernsänger nicht so ungezwungen-gelöst agieren gesehen, abgesehen davon, daß kaum eine Rolle typenmäßig besser zu besetzen gewesen wäre. Hermann Prey, der als natur-burschikoser Papageno die Mozart-Tradition Wiens und Salzburgs erneut an den Hudson verpflanzt, buchte — eine richtige Ovation empfangend — den größten Erfolg; laute Bravorufe wurden der debütierenden Lucia Popp zuteil, die alle Spitzentöne ihrer Koloraturarien mit makelloser Sicherheit und schlanker Kühle traf. Nicolai Gedda war Tamino, Püar Lorengar Pamana, und illustren Namen begegnete man auch in den vorzüglichen Darstellern der mittelgroßen und kleineren Rollen. Dazu der vortrefflich einstudierte Chor und, last but not least, die von Verve und Liebe getragene musikalische Gesamtleitung in Händen von Josef Krips — ein Mozart-Experte, den New Yorkern seit langem vom Konzertpodium bekannt und daher mit besonderer Herzlichkeit am Opernpult willkommen geheißen. Solide Zusammenarbeit auf höchster Ebene und auf allen Linien — und ein Triumph des Hauses, das diesem Schwanengesang des Frühvollendeten in so beispielgebender Weise ein neues Kolorit verlieh.

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