Die Liebe, ertrunken

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Temperamentvoll und subtil führte Marco Armiliato das Orchester durch Saint-Saëns virtuos mit vielen Farben jonglierende, meisterhafte Partitur.

In einem Jahr feiert die Wiener Staatsoper das 100-jährige Bestehen ihres Hauses. Wurde auch mit Mozarts "Don Giovanni" eröffnet, hat man sich fürs Jubiläum einen anderen Wiener Säulenheiligen ausgesucht: Richard Strauss. Dessen im Oktober 1919 an der Staatsoper uraufgeführte "Frau ohne Schatten" ist am 25. Mai 2019 als Galapremiere avisiert, dirigieren wird Christian Thielemann. Die übrigen Premieren der kommenden Spielzeit -die vorletzte der Ära Dominique Meyer - gelten Hector Berlioz' "Les Troyens", der Uraufführung von Johannes Maria Stauds "Die Weiden", Gaetano Donizettis "Lucia di Lammermoor", Manfred Trojahns zum ersten Mal in der Staatsoper zu sehendem "Orest" und Verdis "Otello".

Noch aber läuft diese Saison, und sie brachte vergangenes Wochenende eine Neuproduktion von Camille Saint-Saëns erfolgreichster Oper "Samson et Dalila". Eine Oper -oder doch anderes? Ursprünglich hatte der Komponist vor, aus diesem vom "Buch der Richter" aus dem Alten Testament sowie Voltaires "Samson" inspirierten Libretto ein Oratorium zu formen. Schließlich entschied er sich für eine Oper, komponierte den zweiten Akt, ehe ihn Zweifel überkamen, wie sich dieses Sujet auf der Bühne ausmachen würde. Diese zerstreute Liszt, der ihn einlud, das neue Werk am Weimarer Hoftheater herauszubringen, wo es im Dezember 1877 seine triumphale Uraufführung erlebte.

Badewanne als Blickfang

Ehe sich diese "Opéra en trois actes et quatre tableaux" durchsetzte, dauerte es. Zu wenig melodisch, harmonisch zu kühn, rügten Zeitgenossen. Konnten sie mit der Raffinesse des Werks zu wenig anfangen, in dem sich Einflüsse aus den Oratorien Händels ebenso ausmachen lassen wie aus Wagners Musikdramen oder Gounods Opernœuvre? Fehlende Dramatik wird jedenfalls durch elegante Melodik, differenzierte Orchestrierung und wirkungssicher eingesetzte Chromatik klug ersetzt. Zudem ist dem Komponisten mit Dalilas "Mon cœur s'ouvre à ta voix comme s'ouvrent les fleurs aux baisers de l'aurore" ("Mein Herz öffnet sich deiner Stimme wie die Blume dem Kuss der Morgenröte") einer der populärsten Schlager der Opernliteratur eingefallen. "Eine Musik, die auf der Zunge zergeht -feinste Himbeercreme in Des -und die doch auch die Linie der Empfindung überzeugend nachzeichnet." So begeistert zeigte sich der gestrenge Julius Korngold in seiner Rezension der Wiener Erstaufführung 1907.

Wie er die perfekte, betont kühldistanzierte, damit schon wieder faszinierende Interpretation nicht nur dieses Ohrwurms, sondern der gesamten Rolle durch die prominente Dalila der Wiener Neuproduktion, Elı¯na Garancˇa, beurteilt hätte? Sie muss diese zentrale Szene, bei der es um unterschiedliche Liebe geht, in einem Zimmer mit einer Badewanne als "Blickfang" spielen. Was die mit diesem Saint-Saëns an der Wiener Staatsoper debütierende, bisher nicht gerade als Opernregisseurin ausgewiesene Alexandra Liedtke dazu geführt hat? Eine Erinnerung an eine andere Bibelszene, wo sich jemand die Hände in Unschuld wäscht? Eine zu weit hergeholte Interpretation? Ein undechiffrierter Regiegag.

Ungleich mehr Substanz hat die -wenngleich einem Buch von David Grossman, "Löwenhonig", entlehnte -Idee, den durch den Verlust seiner Haare und seines Augenlichts seines Nimbus entkräfteten Samson als Selbstmordattentäter zu zeichnen. So muss er nicht den Tempel einstürzen lassen, um die Philister in den Tod zu treiben. Effekt macht auch diese Lesart des Finales in der betont kargen, mit schrägen Ebenen und Ausschnitten changierenden, schwarz ausgelegten Bühne (Raimund Orfeo Voigt). Damit vermag die sich mit Personencharakteristik nur mäßig auseinander setzende Regie auch den Bezug des Sujets zur Gegenwart herstellen.

Temperamentvoll und subtil führte Marco Armiliato, der dieses Werk erstmals dirigierte, das bestens gestimmte Orchester durch Saint-Saëns virtuos mit vielen Farben jonglierende, meisterhafte Partitur. Gut vorbereitet erwies sich der unterschiedlich ins Geschehen integrierte Chor (Einstudierung: Thomas Lang). Wenig stimmungsund fantasievoll dagegen die von Lukas Gaudernak erdachte Choreografie. Roberto Alagna agierte als durchschlagskräftiger, unterschiedlich eloquent phrasierender Samson, Carlos Álvarez zuweilen angestrengt als Oberpriester. Solide die übrige Besetzung mit Sorin Coliban als Abimélech, Jörg Schneider und Marcus Pelz als Philister sowie Dan Paul Dumitrescu als alter Hebräer.

Samson et Dalila Staatsoper, 18., 21. Mai

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