Das Programmheft ist interessanter

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Vielleicht waren die Erwartungen zu hoch gesteckt: Der Wiener Festwochen-"Don Giovanni" geriet zu einer Enttäuschung.

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Vielleicht waren die Erwartungen zu hoch gesteckt: Der Wiener Festwochen-"Don Giovanni" geriet zu einer Enttäuschung.

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Schon nach zehn Minuten verließen die ersten Zuschauer die Aufführung - angesichts der Tatsache, daß Premierenkarten für einen hochkarätigen und mit Spannung erwarteten "Don Giovanni" am Theater an der Wien nur schwer zu ergattern sind, eine Entscheidung von bewundernswerter Konsequenz. Wenngleich überhöhte Erwartungen eine Rolle gespielt haben mögen: die letzte Premiere der diesjährigen Wiener Festwochen geriet zu einer Enttäuschung. Vor fünf Jahren hatten Festwochen und Wiener Staatsoper mit "Cosi fan tutte" die erste der drei Opern von Wolfgang Amadeus Mozart und dem als genial geltenden Librettisten Lorenzo da Ponte in Koproduktion herausgebracht. Doch Riccardo Muti als musikalischer Leiter und Roberto de Simone als Regisseur konnten nun mit "Don Giovanni" nicht an das damalige erstklassige Ergebnis anknüpfen. Sowohl Regie als auch Musik fehlt der zündende Funke.

Die Sänger trifft keine Schuld: die Leistung des Ensembles ist technisch einwandfrei, vom souveränen Carlos Alvarez in der Titelpartie des durch die Jahrhunderte reisenden, seelenlosen Frauenhelden bis hin zu Anna Caterina Antonacci als Donna Elvira, halb unbarmherziger Rachengel, halb sich verzehrende Geliebte. Doch Mutis unterkühltes, bisweilen aalglattes Dirigat verhindert viel zu oft, daß die Figuren Kontur gewinnen. Die von ihm beschworene atmosphärische Düsternis ist nicht tiefschwarz, sondern ziemlich matt. Wenn zum Beispiel auf der Bühne der Bösewicht in den Höllenschlund taumelt - einer der wenigen gelungenen szenischen Momente - bleibt Muti die entsprechende Hitze schuldig. Die Hölle ist für den italienischen Star-Dirigenten offenbar so kalt und grau wie der Stein, aus dem die todbringende Statue des Komturs (Franz-Josef Selig) gehauen ist. Flöten-Mißtöne aus dem Orchestergraben (Bühnenorchester der Österreichischen Bundestheater alias Wiener Philharmoniker) verbessern die Sache nicht gerade.

Wie das Programmheft beweist, hat sich de Simone intensiv mit dem Don-Juan-Stoff auseinandergesetzt: Von der Erotik des Todes und dem Tabu, von den Speisen der Toten zu essen, ist dort ausführlich die Rede. Leider kommen de Simones Erkenntnisse in der Inszenierung nur undeutlich zum Vorschein; das Programmheft ist da wesentlich interessanter. Nur in wenigen Szenen kann der Regisseur seine Gabe packenden Erzählens so gekonnt entfalten wie weiland in "Cosi fan tutte", etwa wenn Donna Elvira Donna Anna (Adrianne Pieczonka) und deren Verlobten Don Ottavio (Michael Schade) vor dem anwesenden Don Giovanni warnt, oder wenn Donna Elvira vor versammelter Menge, darunter das bäuerliche Paar Zerlina (Angelika Kirchschlager) und Masetto (Lorenzo Regazzo), gedemütigt wird: Welche Schmach, als ihr klar wird, daß sie nicht mit Don Giovanni, sondern mit dessen Diener Leporello (Ildebrando d'Arcangelo) gemeinsam abgegangen ist. Wofür dieses Bild in der Sprache der Oper steht, kann man sich leicht ausmalen. Was Muti und de Simone darüber hinaus noch sagen wollen, steht größtenteils nicht in den Sternen, sondern im Programmheft. Zu sehen und zu hören ist es nur bruchstückhaft.

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