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Don Giovanni verkleinbürgerlicht

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Wenn Dr. Böhm sich mit Mozartpartituren auseinandersetzt, ergibt sich fast von selbst ideale Harmonie. Von hochdramatischer Spannung, tiefem Emst, geistvollem Scherz. Und diese Mozart-Galapremiere im Kleinen Salzburger Festspielhaus setzte musikalische Maßstäbe. Im Szenischen ist diesJean-PierrePonnellebeim„DonGiovanni”nichtgelungen.

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Wenn Dr. Böhm sich mit Mozartpartituren auseinandersetzt, ergibt sich fast von selbst ideale Harmonie. Von hochdramatischer Spannung, tiefem Emst, geistvollem Scherz. Und diese Mozart-Galapremiere im Kleinen Salzburger Festspielhaus setzte musikalische Maßstäbe. Im Szenischen ist diesJean-PierrePonnellebeim„DonGiovanni”nichtgelungen.

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Denn Böhm glaubt bedingungslos ąn den Moralisten Mozart, empfindet Sinnlichkeit und Phantasie in aller menschlichen Wärme nach und versteht es, die erotischen Momente dieses Werkes, den Mozart stets faszinierenden Augenblick der Verführung, musikalisch auszuloten. Er fühlt sich wie kaum ein anderer in die Atemkurve, den Pulsschlag dieser Musik ein. Kein Wunder also, daß er im Spiel der Wiener Philharmoniker jenes einzigartige Feuer der Mozart-Musik anzündet und ihm selbst die profiliertesten Sänger bedingungslos folgen. Allerdings sind diese Stars in der Salzburger „Don Giovanni”-Aufführung merkbar ins Spannungsfeld zwischen Böhm und dem Regiekonzept Jean- Pierre Ponnelles geraten. Man merkt es im kaum überbrückbaren Auseinanderklaffen von musikalischer Absicht und szenischem Konzept.

Böhm ist ein Mann der klaren Linie. Ponnelle liebt den Schnörkel. Pon- nelle behängt Mozarts und Da Pontes Text mit Regiedetails und Anspielungen, die alle auf der Welle mondäner Aktualisierung schwimmen. Er klügelt immer neue Gags aus, deutelt, was wohl hinter jedem Wort noch stecken könnte, wie eine Zierseuche überwuchern diese Details das Werk. Aber dadurch verliert der Don Giovanni gerade seine schillernde Vieldeutigkeit. Was Mozart andeutet, schlachtet Ponnelle aus bis zur derben Plumpheit. Direkter kann man das meiste nicht sagen, als er es herausformt.

Kein Wunder, daß er sich dabei auch in fragwürdige politische Randbereiche verliert. Der Phantasie, die gerade im Giovanni ins Gewagte, in die Spekulation vorstoßen soll, wird mit dieser Determinierung jeder Freiraum genommen.

Das fängt beim grauschwarzen Allerweltsbühnenbild an, einem massiven Halbrund aus Steinquadern, mit Logenbögen und Baikonen. Ein Spielfeld für dies und das, von „Maskenball” bis zur „Krönung der Poppea”. Wie nach Bedarf räumt Ponnelle diesen Rahmen voll, mif grotesken Friedhofsdenkmälern, Prachttoren, kitschigen Pornograsken wie aus einem Bordell, mit stets mahnendem Kreuz, das die lastende Herrschaft der Kirche und die armselige Freiheit des Menschen im Spanien Goyas symbolisieren soll (ein Problem, das Mozart kaum verfolgt hat). Zeigen möchte er am liebsten alles zugleich. Nur die Phantasie wird dabei beim Zuschauer auf den Nullpunkt gedrückt. Er kann sich dazu nichts mehr denken.

Aber auch in der Personenführung verzettelt sich Ponnelle. Glatte Uberdeutlichkeit triumphiert. Etwa wenn ein Troß von Gunstgewerblerinnen Don Giovanni in seinem Palast umschwärmt (als ob es hier nur um Sex und nicht um die Revolte gegen die Ordnung in der Familie, um die Demütigung des Ehrenstandes der Frau ginge). Schließlich kommt auch noch der Komtur doppelt, lebendig steigt er aus seinem Standbild und bringt Don Giovanni um den steinernen Handschlag und seine spektakuläre Höllenfahrt. Nur, weil Ponnelle dieser gewaltigen Theaterfigur bloß einen kleinbürger lichen Herzinfarkt gewährt, um so alles Heroische abzuräumen und eine moderne Kleinbürgerlichkeit zu erzeugen. Wie man ihm das in Köln wohl gerne abnimmt.

So wundert es mich nicht, daß bei dieser Regie ein Moment sich nicht entfalten kann: die Erotik. Sherrill Milnes brilliert zwar mit seinem dunklen Timbre und seiner kraftvollen Stimme; aber Giovannis Besessenheit und seine schwarzen Kapriolen erscheinen gefroren. Anna Tomowa- Sintow: (Donna Anna) und Teresa Cy- lis-Gara (Donna Elvira): kühle Stimmen, Arienschönheit. Peter Schreier: ein sehr männlicher verinnerlichter Ottavio. Walter Berry singt und spielt einen hintergründigen Leporello. Dale Düsing (Masetto) und Edith Mathis (Zerlina) wirken farblos. Ein echter Regieversager also. Statt Giovannis tyrannischer Revolte gegen die Ordnung, statt Erotik, die in Todessehnsucht umkippt, beschert Ponnelle nur kleinbürgerliche Probleme, weil’s gerade modern ist.

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