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Plädoyer für eine vergessene Oper
Ist die große „Titus“-Renaissance angebrochen? Man könnte es fast glauben, wenn man auf die Spielpläne von Festivals und Opernhäusern sieht: Mozarts 1791 in Prag uraufgeführte „Cle-menza di Tito“ als Wiederaufnahme in München, als Festwochenproduktion im Theater an, der Wien, die wahrscheinlich in die Staatsoper übersiedelt; und zuletzt als einzige Opernpremiere der Salzburger Festspiele in der Felsenreitschule.
Ist die große „Titus“-Renaissance angebrochen? Man könnte es fast glauben, wenn man auf die Spielpläne von Festivals und Opernhäusern sieht: Mozarts 1791 in Prag uraufgeführte „Cle-menza di Tito“ als Wiederaufnahme in München, als Festwochenproduktion im Theater an, der Wien, die wahrscheinlich in die Staatsoper übersiedelt; und zuletzt als einzige Opernpremiere der Salzburger Festspiele in der Felsenreitschule.
Jean-Pierre Ponnelle inszenierte diese letzte große, eigentlich um Jahrzehnte verspätete Opera seria, die zur Krönung Kaiser Leopolds II. zum König von Böhmen entstand, als barocke Staatsaktion, in üppiger Kostümpracht. Eine Glorie für Habsburg. Und wie großartig diese Musik wirken kann, hat jedenfalls „Met“-Chef James Levin, Salzburgs Operndebütant, bewiesen. Er putscht diese Musik romantisch auf, gibt ihr Farbkontraste, Schwung, leidenschaftlichen Impetus, läßt Musiknummern wie den Brand Roms oder die zündenden Arien des Titus („Se all'impero“) oder der Vitellia („Non piü di fiori“) brillant leuchten. Und mit viel Verve zwingt er die 26 Einzelnummern zu einem Bogen, wobei ihn die Wiener Philharmoniker imponierend unterstützen.
Ponnelle hat damit Regie und Ausstattung betreut. Optisch ist ihm ein großartiger Wurf gelungen. In die Felsenreitschule baute er einen spätbarocken Triumphbogen, der bald als Portal dient, bald Durchblicke in Hallen des Kaiserpalastes freigibt. Darüber kaiserliche Kriegstrophäen, Helme, Fasces, Schwerter, mit dem habsburgischen Doppeladler. Allerdings hat Ponnelle wieder einmal seinen Horror vacui voll ausgespielt: Keine Figur darf da auch nur einen Moment ruhig stehen. Ein Zirkus der großen Gesten, pathetischen Händeringens, des Schleifens von Schleppen, daß man sich manchmal schon einen Ruhepunkt, eine klare Linie wünscht. Denn all die lustvoll ausgekosteten Affekte, dieses manierierte Historientheater, pfropfen dem Werk viel Hektik auf, die in der Musik nirgends zu finden ist. Nur für die großen Chöre hat Ponnelle sich zurückgehalten: Den Chor hat er in die Arkaden der Felsenreitschule verbannt, hinter auf-und niederfahrende Rollbalken. Und beim Brand Roms flackert phantasieloserweise ein bißchen Rotlicht.
Attraktiv ist die Besetzung: Ta-tiana Troyanos singt die Kastratenpartie des Sextus hinreißend temperamentvoll, kommt fast an die Virtuosität der Wiener Besetzung mit Teresa Berganza heran. Werner Hollweg zeigt trotz mancher Uberforderung auch diesmal seine kultivierte Stimmführung. Enttäuschend ist Carol Neblett als Vitellia. Höhe und Tiefe wirken durch die eminenten Schwierigkeiten der Partie überfordert. Sie forciert und preßt, schneidet hysterische Grimassen. Solide besetzte Nebenpartien: Catherine Maltitano (Servilia), Anne Ho-wells (Annius) und Kurt Rydl (Publius).
Sonst gibt es heuer beim Salzburger Festspiel-Sparjahr '76 ausschließlich Reprisen. Mozarts „Figaro“ unter Karajan wirkt trotz Regieauffrischung durch Ponnelle recht flau und abgewirtschaftet und wird 1977 abgesetzt: Anna Tomowa-Sin-tow (Gräfin), Claudio Nicolai (Graf), Maria Ewing (Cherubin) sind neu und kein Ereignis. An der „Don-Carlos“ -Produktion von 1975 hat Karajan weitergearbeitet: Zum Stargespann Nicolai Ghiaurov-Mirella Freni sind heuer Fiorenza Cossotto (Eboli: recht schrill, forcierend, mit übertriebenem Pathos) und der fabelhafte Jose Carreras gestoßen. Carreras ist das Ideal eines Prinzen: Er verfügt über ein Aussehen wie aus einem Modejournal, hat eine traumhaft geschmeidige Tenorstimme, der nur etwas an dramatischer Kraft fehlt. Fatal ist die Besetzung des Großinquisitors mit Jules Bastin, der wie Santa Claus schreiend durch die Szenen zieht.
Außerdem wurde der 1974 von Gustav Rudolf Sellner und Doktor Karl Böhm herausgebrachte „Idome-neo“ aus der Versenkung geholt, und Rennerts „Cosi-fan-tutte“ Inszenierung noch einmal angesetzt. (Ein Bericht darüber folgt in unserer nächsten Ausgabe.)
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