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Mit d er Neuinszenierung von Rossinis „Barbier von Sevilla“ haben die Salzburger Festspiele seit langem wieder ein Werk eines ausländischen Komponisten in ihr Programm aufgenommen, das nicht — wie das meiste in den letzten Jahren — durch seine Mozart-Ferne aus dem Rahmen fällt. Verglichen mit dem „Troubadour“, dem „Boris Godu- now“ und der „Carmen“ handelt es sich beim „Barbier“ um eine „kleine“ Inszenierung, ‘die sinngemäß auch im Kleinen Festspielhaus untergebracht wurde. Jedoch groß und klein sind gerade in Salzburg sehr relative Begriffe (wie soeben Karajans „Don Giovanni“-Inszenierung zeigte) und so darf, nach dem allein gültigen Maß der aus dem Werk selbst abgeleiteten und in diesem einen neuen Sinn erschließenden Interpretation, der neue Salzburger „Barbier“ getrost als eine der großen Inszenierungen dieses Festspielsommers bezeichnet werden.

Jean Pierre Ponnelle und Claudio Abbado bilden als Regisseur und Dirigent ein sich harmonisch ergänzendes Paar, das durch die gemeinsame Liebe zum gleichen Objekt an diesem von verschiedenen Seiten neue Reize und Schönheiten entdeckt. Dem Franzosen Ponnelle ist Rossinis „Barbier“ primär eine Schöpfung seines Landsmannes Beaumarchais, den er in der Neuinszenierung nach Kräften wieder zu Ehren zu bringen sucht.

So wird bei ihm aus der sonst von ‘der Laune des Augenblicks und dem reinen komödiantischen Spieltrieb lebenden opera buffa eine beinahe seriöse musikalische Komödie, in der es im Grunde um ernste Dinge geht. Für Ponnelle bildet der Generationskonflikt das Bindeglied zwischen der Entstehungszedt des „Barbier“ und dem Heute.

Dieser subtilen Deutung PonneJles, der auch die schönen, Zeit- und Lokalkolorit eindringlich verdichtenden Bühnenbilder und Kostüme beisteuert, kommt Claudio Abbado von der Musik her mit seiner Interpretation entgegen. Auch er dirigiert den „Barbier“ unkonventionell, auch er will aus der Schablone heraus — und wie Ponnelle zurück zu Beaumarchais — strebt er zum Urbild der Partitur Rossinis zurück.

Die Wiederherstellung des Originals ergab ferner bei mehreren Nummern abweichende Tempi, die von Rossini meist rascher vorgeschrieben sind, als man sie zu nehmen pflegt. Klanglich erzielt die Wiederaufnahme von zwei Piccoloflöten und die Streichung der Posaune und Pauke, die in der Originalpartitur nicht vorgesehen sind, eine Aufhellung und Auflockerung, die den Orchesterpart durchsichtiger und flexibler macht. So gerät die Musik in ihrer originalen Schlankheit in größere Mozart-Nähe.

Diese harmonische Kooperation von Regisseur und Dirigenten realisiert sich in einem ungemein disziplinierten Ensemble, in dem jede Partie mit dem richtigen Sänger besetzt ist. Luigi Alva singt einen betörenden Grafen Almaviva, der sich seinen Adelstitel allein schon durch sein Ständchen- und Romanzensingen verdienen würde. Fernando Corena befreit seinen Doktor Bartolo von allen karikierenden Faxen und verleiht ihm durch die kraftvolle Fülle seines Basses Würde und Gewicht. Hermann Prey, gleich bewundernswert wegen seiner stu- penden Gesangstechnik wie wegen seiner erstaunlichen Wandlungsfähigkeit, macht aus dem Figaro einen darstellerisch und musikalisch entschlackten Barbier, der in seinem humorvollen Esprit schon den künftigen pfiffigen Kammerdiener des

Grafen vorwegnimmt, der sich auf aristokratischem Parkett sicher zu bewegen weiß. Paolo Montarsolo mimt und singt den Basilio als verinnerlichten Kümmerling, dessen gewaltige Stimmtitel nur bei der Verleumdungsarie andeutungsweise zum Vorschein kommen. Stefanie Malagu singt die Marzellina einmal wirklich so, daß man ihr, auch stimmlich, die noch rieht ganz verblühten Reize des ältlichen Mädchens glaubt. Die Überraschung des Abends ist der Mezzosopran Malvina Major als Rosi.na: sehr schön, musikalisch reif und mit fraulichem Ausdruck gesungen. Abbado versichert in seinem Kommentar, Rossini habe die Rosina im Original für Mezzo komponiert. Er muß es wissen. Trotzdem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren: Hier irrt Rossini (und Abbado) und die Gewohnheit hat Recht.

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