Das totalitäre Regime und seine Opfer

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Dmitri Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ an der Wiener Staatsoper: Die Inszenierung von Burgtheater-Direktor Matthias Hartmann läuft streckenweise auf eine Verharmlosung des Sujets hinaus. Debütant und Einspringer Ingo Metzmacher am Pult überzeugt mit seinem analytischen Dirigat vor allem in den lyrischen Passagen.

Sein fünfter und letzter Wien-Besuch führte Schostakowitsch 1965 an die Wiener Staatsoper zur österreichischen Erstauffühung seiner Oper „Katerina Ismailowa“, der dritten Version seiner „Lady Macbeth von Mzensk“. Seit dem Wochenende spielt man in einer Neuproduktion die Urfassung des Werks, zugleich eines der schicksalsschwersten Beispiele für die Wechselbeziehung von Politik und Kunst.

Schostakowitsch zählte 24 Jahre, als er mit der Komposition der Oper begann, die ihn schließlich zwei Jahre beschäftigte. Geplant war das Werk als Beginn einer – hier gibt es unterschiedliche Äußerungen des Komponisten – Trilogie oder Tetralogie zur Lage der Frau in verschiedenen russischen Epochen. Im Mittelpunkt der zweiten Oper sollte die junge Anarchistin Sofia Perowskaja stehen, die am Attentat gegen Zar Alexander II. beteiligt war. Im Zentrum des dritten Werks eine Arbeiterin aus der Sowjetzeit. Keine dieser Absichten hat Schostakowitsch verwirklicht.

1934 hatte „Lady Macbeth von Mzensk“ (nach einer Novelle von Nikolaj Leskow) Premiere. Zuerst in Leningrad, zwei Tage darauf in Moskau. Die Kommentare in der Presse überschlugen sich. Vom „Sieg des sowjetischen Musiktheaters“, einem „grandiosen Schritt in Richtung des sozialistischen Realismus“ war ebenso die Rede wie vom „Beginn der großartigen Blüte des sowjetischen Opernschaffens auf der Grundlage des historischen Beschlusses des Zentralkomitees der Kommunistischen Allunionspartei“. 1935 fand in Cleveland die erste Aufführung außerhalb der Sowjetunion statt. Im Jahr darauf folgten weitere in den Vereinigten Staaten und in Europa.

Hetzartikel in der „Prawda“

Im Jänner 1936 besuchte die sowjetische Staats- und Parteispitze die Moskauer Produktion. Zwei Tage später erschien in der Prawda der Hetzartikel „Chaos statt Musik“, in dem das Werk niedergemacht, der Komponist eines unverständlichen Formalismus’ bezichtigt wurde. Die Maßregelung hatte gleichermaßen Auswirkungen auf Schostakowitschs nachfolgenden Stil wie für die Oper selbst: Sie wurde für die nächsten 27 Jahre von den sowjetischen Bühnen verbannt.

„Lady Macbeth von Mzensk“ spielt im zaristischen Russland. Schostakowitschs Libretto aber lässt keinen Zweifel, dass damit ebenso unmissverständlich die unmenschlichen Praktiken der stalinistischen Ära angesprochen sind. Im Mittelpunkt steht die aus einfachen Verhältnissen stammende, ungebildete, sich nach Liebe sehnende, schließlich an den äußeren Umständen scheiternde, zur mehrfachen Mörderin werdende Katerina Ismailowa. In Matthias Hartmanns Inszenierung und der auf höchste Differenzierung setzenden, kultivierten vokalen Gestaltung der perfekten Angela Denoke wird allerdings weniger die realistische Szenerie hervorgekehrt, sondern um Verständnis für Katerinas Situation geworben. Eine unnotwendige wie unverständliche Verharmlosung von Sujet und Musik.

Volker Hintermeier hat das karge Bühnenbild entworfen: ein inmitten eines harten Parkettbodens platziertes Bett. Später wird in diesem Ambiente die Hochzeitsgesellschaft ebenso in Schräglage dargestellt wie das in trostloses graues Licht getauchte Straflager. Ein Versuch, die unterschiedlichen Sphären des Vierakters, der sich vom Grell-Grotesken zum Erschütternd-Dramatischen weitet, herauszuarbeiten, ohne die Einheit des Stücks zu gefährden.

Der auch vokal nur durchschnittliche Marian Talaba präsentierte sich als so unentschlossener Ehemann Sinowi, dass man ihm selbst seine Schwächen kaum abnahm. Ungleich präsenter Misha Didyk als vor allem die brutale Note gekonnt ausspielender Liebhaber und späterer untreuer Sergej. Was eine Frau in diesem Regime tatsächlich zu ertragen hatte, machte Donna Ellens mit glaubhafter Verzweiflung gezeichnete Axinja am unmittelbarsten deutlich. Zu sehr in die Nähe einer unfreiwilligen Karikatur rückte Hartmann den von Janusz Monarcha mit deutlichen stimmlichen Abnützungserscheinungen gezeichneten Popen. Auch Michael Roiders Schäbiger hatte mehr Lächerliches als Groteskes an sich. Untadelig, gestisch wie stimmlich, Nadia Krasteva in der Rolle von Katerinas Nebenbuhlerin Sonjetka.

Prägung aus dem Orchestergraben

Kurt Rydl nutzte die Gunst seiner Rolle. Er gab mit stupender Selbstverständlichkeit den von Eifersucht und Macht erfüllten, vom Johannestrieb befallenen Boris, ließ dabei auch stimmlich keine Wünsche offen. Eine makellose, packende Charakterisierung von Katerinas Schwiegervater.

Ihr prägendes Profil aber erhält die Neuproduktion aus dem Orchestergraben. Wie im Sommer in Salzburg bei Nonos „Al gran sole“ demonstrierte Ingo Metzmacher, der kurzfristig für den erkrankten Kirill Petrenko eingesprungen war und so zu einem überraschenden Staatsoperndebüt kam, ideale Übereinstimmung mit dem auf höchstem Niveau spielenden Staatsopernorchester. Sein auf Klarheit und weite Disposition zielendes analytisches Dirigat überzeugte in den souverän modellierten lyrischen Partien. Nicht ganz so getroffen wurde der leidenschaftlich-dramatische Ton der Partitur.

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