6827061-1974_17_11.jpg
Digital In Arbeit

Schicksale an der Wolga

19451960198020002020

Wir haben das originelle Werk des aus dem mährischen Hochwald (Hukvaldy) stammenden Leos Janäcek und seine von einem ungestümen Temperament beherrschte Persönlichkeit an dieser Stelle bei jeder sich bietenden Gelegenheit ausführlich gewürdigt. Von seinen neun vollendeten Opern konnte man in Wien immerhin „Jenufa“, „Das schlaue Füchslein“, „Die Ausflüge des Herrn Broucek“ und, anläßlich eines Gastspiels, „Aus einem Totenhaus“ sehen. Aber eines seiner Hauptwerke — vielleicht weniger dramatisch wirksam und melodisch spröder als „Jenufa“ — nämlich „Katja Kabanova“, hat man in Wien noch nicht produziert. Doch es steht auf vielen Opernspielplänen, und wir konnten es in West- und Ost-Berlin, in Brünn und Prag sehen.

19451960198020002020

Wir haben das originelle Werk des aus dem mährischen Hochwald (Hukvaldy) stammenden Leos Janäcek und seine von einem ungestümen Temperament beherrschte Persönlichkeit an dieser Stelle bei jeder sich bietenden Gelegenheit ausführlich gewürdigt. Von seinen neun vollendeten Opern konnte man in Wien immerhin „Jenufa“, „Das schlaue Füchslein“, „Die Ausflüge des Herrn Broucek“ und, anläßlich eines Gastspiels, „Aus einem Totenhaus“ sehen. Aber eines seiner Hauptwerke — vielleicht weniger dramatisch wirksam und melodisch spröder als „Jenufa“ — nämlich „Katja Kabanova“, hat man in Wien noch nicht produziert. Doch es steht auf vielen Opernspielplänen, und wir konnten es in West- und Ost-Berlin, in Brünn und Prag sehen.

Werbung
Werbung
Werbung

Bei der Charakterisierung der Musik Janäceks können und müssen wir uns diesmal auf einige Stichworte beschränken. Die vollkommene Synthese von Rezitativ und Arioso in den Singstimmen beruht auf jenen „Sprachmelodien“, die Janääek (1854—1928), ein markanter Vertreter des Antiurbanismus und wissenschaftlicher Folklorist, seit dem Jahr 1879 aufzuzeichnen begann. Er selbst nennt sie seine „Fensterchen in der Seele“ der handelnden und leidenden Personen. Dieser intensive Sprechgesang ersetzt die Arie und wird nur selten zu größeren lyrischen Phrasen ausgeweitet. Den vielfach variierten Motiven entspricht eine ebenso ungewohnte Begleitmusik: ein in seiner rhythmischen Vertracktheit schwer rezipierbarer Orchesterpart, dessen Themen nicht entwickelt und durchgeführt, sondern in einer Art adddtionellen Verfahrens andeinandergereiht bzw. wiedenholt werden. Von Einflüssen der westlichen klassischen und romantischen Musik war Janäcek fast frei, obwohl er nach seiner Ausbildung in Brünn und Prag auch Leipzig, mehrere andere deutsche Städte und für einen Monat (April bis Mai 1880) auch das Wiener Städtische Konservatorium besuchte. Aber überall im Ausland fühlte er sich fremd. Nur Rußland empfand der leidenschaftliche Slawophile als /-weite Heimat. In der russischen Literatur fand er seine bedeutendsten Sujets, und 1920, als er das Theaterstück „Gewitter“ von Ostrowski bereits kannte und an seiner Komposition arbeitete, notierte er „Die Wolga und ihr Leben beobachtete ich in Nishni Nowgorod, und der Spiegel der Wolga war im Glanz des Mondes von eben jener Helle wie die Seele Katjas“.

Die Handlung, die Konflikte und die Tragödie der passiven Heldin Katja ähneln sehr denen ihrer Namensschwester Katerina Ismailowa in der Novelle von Ljeskow, aus der Schostakowitsch Anfang der dreißiger Jahre seine Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ gemacht hat. Katja, mit dem schwächlichen Tichon, dem Sohn einer reichen Kauf mannswitwe verheiratet, wird von ihrer herrischen Schwiegermutter ebenso unterdrückt wie ihr Mann von seinem Vater. Ihre Freundin, die lebenslustige Warja, die den aufgeklärten Lehrer und „Naturforscher“ Kudr-jasch zum Freund hat, ermuntert Katia. während ihr Mann eine längere Reise unternimmt, zu einer Liebschaft mit Boris, dem Neffen des Kaufmanns Dikoj. Dadurch will sie sich dem Zwang und unerträglichen Druck des Kabanow-Olans, verkörpert in der Kabanicha, entziehen und „glücklich werden“, ähnlich wie einige Frauengestalten in Ibsens Dramen. Aber ihr Geliebter ist zu schwach, sie zu halten, ihre Freunde Warja und Kudrjasch beschließen nach Moskau zu fliehen. Alleingelassen und verzweifelt, bricht sie seelisch unter dem Einfluß eines Gewitters, das als Strafe Gottes für ihre Sünde gedeutet wird, zusammen und bekennt öffentlich ihre Schuld. Jetzt bleibt ihr nur noch der Weg in den Tod, in die Fluten der Wolga.

Joachim Herz, Felsenstein-Schüler und Operndirektor in Leipzig (von dem wir in der letzten Folge der FURCHE ein Porträt brachten und der auch die deutschen Texte von Max Brod revidierte), hat diese Handlung in den Bühnenbildern von Rudolf Heinrich glaubwürdig und faszinierend dargestellt. Die einfache und logische Führung der Personen erfolgte in einem idealen Rahmen, einem suggestiven Bühnenbild, das ein wahrer Meister seines Fachs geschaffen hat. Die drei unmittelbar an bzw. über der Wolga spielenden Szenen sind in ein strahlendes weißgraues Licht getaucht, das von der Silberfolie des Wassers und einem blendend weißen Segel, das den Himmel symbolisiert, reflektiert wird.Vor diesem alles beherrschenden Hintergrund agieren — auch in den Szenen im Hause der Kabanows und vor der Klosterruine mit dem verfallenen Fresko, das das höllische Feuer darstellt — die Personen wie kleine dunkle Schattenfiguren.

Aber sie sind nur „bühnenoptisch“ klein: der Kabanicha verleiht Astrid Varnay Format und Profil, dem Kaufmann Dikoj Oskar Czerwenka, stimmliches und schauspielerisches Format; glaubwürdig, aber sowohl vom Dichter wie vom Komponisten ein wenig benachteiligt, gibt Waldemar Kmentt den Tichon und Peter Lindroos den nicht sehr feurigen Liebhaber. Gertrude Jahn als Warja und Günter Neumann als junger Lehrer sind besser bedacht und wissen ihre dankbaren Rallen stimmlich und darstellerisch vorteilhaft zu nützen. Bleibt die junge Griechin Antigone Sgourda als Katja, eine rührende Gestalt, die auch (ebenso wie die Kabanicha) von Lorca erfunden sein könnte: stimmlich sehr ansprechend und darstellerisch überzeugend.

Mit Recht wurden der Dirigent Jänos Kulka und das Orchester nach den ersten vier Bildern lebhaft gefeiert. Denn diese Musik ist weder leicht zu hören noch leicht zu spielen. Sie erfordert einen ständigen Effort, einen intensiven Ausdruck und höchste Konzentration. — Erst seit kurzem hört man diese Partitur so, wie sie geschrieben wurde: in der ersten Ausgabe hat man nämlich mehrere tausend Fehler entdeckt. Nicht nur, daß Janäceks Handschrift eine der flüchtigsten und unleserlichsten ist, die uns je vor Augen gekommen ist, seine Partiturseiten wimmeln auch von Verbesserungen, ausgekratzten und wieder eingefügten Noten, auf den vom Komponisten selbst linierten Blättern fehlen plötzlich Linien und Taktstriche etc. Das hat in dankenswerter Weise Charles Mackeras in Ordnung gebracht, der auch zwei erst 1927 nachkomponierte Zwischenspiele einfügte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung