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Lady Macbeth von Mzensk

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In Anwesenheit des Komponisten Dimi-tri Schostakowitsch, der am Schluß der Aufführung minutenlang lebhaft gefeiert wurde, fand in der Staatsoper die Premiere von „Katerina Ismailowa“ statt. Diese Oper, die ursprünglich den Titel der Ljeskow-Novelle trug, nach der A. Preiß und der Komponist das Textbuch schrieben, hat Schostakowitsch bereits in den Jahren 1930 bis 1932 komponiert. Nach der Leningrader Uraufführung (1934) folgten bald andere Opernhäuser (New York, Cleveland, Prag, London, Zürich usw.). Aber die sowjetische Kritik, von der „Prawda“ angeführt, bremste seit Jänner 1936 den Siegeszug der „Lady Macbeth von Mzensk“, der damals erst dreißigjährige Komponist zog seiBij-Werfc zurück,,.und. rsitnach einer vor zwei- Jahren vorgenommenen Neufassung wird die Oper unter ihrem neuen Namen „Katerina Ismailowa“ wieder mit seiner Zustimmung gespielt.

Der kritisch-realistische Schilderer des russischen Lebens im vorigen Jahrhundert, Nicolai Ljeskow, stellt in den Mittelpunkt seiner Novelle eine junge Kaufmannsfrau, die — müßig und lebenshungrig — ihren sie überwachenden Schwiegervater vergiftet, beim Mord an ihrem Mann durch ihren Liebhaber mithilft, einen minderjährigen Neffen aus dem Weg räumt und schließlich noch auf dem Marsch ins sibirische Straflager eine Rivalin ins Wasser stößt. Sie tut dies alles nicht nur aus Liebesleidenschaft, sondern auch aus Macht-und Geldgier, also als echte Lady Macbeth. Schostakowitsch aber und sein Librettist wollten Katerina Ismailowa nur als von ihrer Verwandtschaft unterdrückte Persönlichkeit und als unbedingte Liebende zeigen, die in ihre Verbrechen (von denen die Autoren ihr eines schenkten) gewissermaßen hineingetrieben wird, kurz: als Opfer ihres Milieus. Das konnte nicht gelingen, und daran krankt die ganze Oper, für deren Heldin sich der Zuschauer ebensowenig zu erwärmen vermag wie für ihre Gegenspieler. Der Zuhörer schon eher, denn Schostakowitsch hat die Partie der Katerina mit der schönsten, der süßesten lyrischen Musik ausgestattet, die er je geschrieben hat.

Fast alle übrigen Gestalten werden vom Komponisten negativ charakterisiert, ja sogar das volkstümliche Element erhält einen Stich ins Groteske, Gewöhnliche und „Mechanistische“. Schostakowitschs Partitur ist überreich an Farben, Rhythmen, Motiven und Instrumentalzwischenspielen. Sie ist, unter fast vollständigem Verzicht auf Rezitative, aus meist kurzen Einzelnummern mosaikartig zusammengesetzt — und entbehrt trotzdem der Dramatik nicht. Freilich enthält sie auch keine melodischen „Schlager“ wie etwa die Werke der italienischen oder slawischen Veristen. Jaroslav Krombholc hat sie mit dem Orchester der Wiener Philharmoniker sensibel und temperamentvoll zum Klingen gebracht. In den milieuechten, eher düsteren Bühnenbildern Oldrich Simäleceks inszenierte Karl Jer-nek (wie der Dirigent und der Bühnenbildner vom Prager Nationaltheater kommend) das vom Libretto her bereits handfeste Stück für unseren Geschmack ein wenig zu naiv: teils überdeutlich, teils mit kleinen Ungenauigkeiten, die in einer so auf Realismus gestellten Aktion nicht passieren sollten.

Dem großen und überaus schwierigen Part als Katerina Ismailowa blieb Ludmilla Dvorakova nichts schuldig. Von ihrer Stimme und ihrer Erscheinung ging eine Faszination aus, die, wenigstens für Minuten, die krude Handlung und den nicht weniger kruden Charakter dieser Lady Macbeth vom Land überglänzte. Großartig auch die Leistung Gerhard Stolzes als Liebhaber der Katerina in der Rolle des Arbeiters Sergeij. In kürzeren Charakterrollen, darstellerisch wie stimmlich gleichermaßen ausgezeichnet: Paul Schöffler (als alter Kaufmann und Schwiegervater), Karl Terkal, Ruthilde Boesch, Peter Klein, Georg Schnapka und Dagmar Hermann, das letzte Opfer der Katerina Ismailowa. Diese letzte Szene, mit dem trostlosen Hintergrund einer sibirischen Landschaft und den erdbraunen Gestalten der Sträflinge macht den geschlossensten Eindruck, ist freilich auch musikalisch die konventionellste. Sie bringt auch den einzigen Schauplatzwechsel: sämtliche (sieben) vorausgegangenen Szenen spielen im Hof des Kaufmannshauses, in dessen oberem Stockwerk, in der Mitte, sich die jeweils mit Scheinwerfern herausgeleuchtete Kammer der Ismailowa befindet. Der Komponist schien mit den Leistungen aller an dieser Aufführung Beteiligten sehr zufrieden. Das Publikum ebenfalls.

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