Innerer Konflikt als aktuelle Herausforderung

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Das Theater an der Wien beeindruckt mit der späten österreichischen Erstaufführung von Hans Werner Henzes „Der Prinz von Homburg“. Überragend vor allem der Gestalter der Titelpartie, Christian Gerhaher.

Am Schluss öffnet sich nicht, wie man erwarten könnte, die Hinterwand der dunkel ausgelegten, nach hinten verjüngten Bühne (Dirk Becker). Stattdessen werden oben zwei Sargdeckel sichtbar. Dann verlöscht das Licht. Zurück im Dunkel bleibt der seiner Sinne entkleidete Prinz.

Die Entstehungsgeschichte der 1960 im Hamburg uraufgeführten Oper, die nach 49 Jahren endlich den Weg nach Wien gefunden hat, beginnt 1957. Während der Arbeit an Henzes Ballett „Maratona di danza“ machte Luchino Visconti Henze auf Kleists Schauspiel „Der Prinz von Homburg“ aufmerksam. Dieser wandte sich an Ingeborg Bachmann um ein Opernlibretto. Ein, wie er es formulierte, „Gehäuse für Rezitative, Arien und Ensembles“. Zögernd ging die mit dem Komponisten eng befreundete Bachmann ans Werk. Erst einmal hatte sie das Stück gelesen und auch einmal nur gesehen: in einer Inszenierung von Jean Villar in französischer Sprache mit dem kurz später verstorbenen Gérard Philippe als Prinzen. Trotzdem gelang ihr das kaum für möglich Gehaltene: den Text so zu straffen, dass sowohl der Tonfall von Kleist Sprache erhalten bleibt als auch die Absicht des Stücks erkennbar. Und dass er zudem die ideale Grundlage für eine Partitur bildet.

Geschichte und Gegenwart

Traum und Wirklichkeit ist ein Thema dieses Sujets. Ebenso die Wandlung des romantischen Träumers zum fest entschlossenen Realisten. Nicht minder angesprochen wird die bis heute gültige Schere zwischen Staatsräson und eigenmächtigem Handeln, zwischen oberflächlichem Gehorsam und innerer Überzeugung. Deutlich wird dies bei der Inszenierung von Christof Loy in der Wahl der Kostüme (Herbert Murauer). Erscheinen die Protagonisten zu Beginn in Kleidern des 17. Jahrhunderts – das Stück spielt im brandenburgischen Fehrbellin und Berlin 1675 –, so treten sie zum Schluss in lässiger heutiger Alltagskleidung auf. Eine sympathische, ohne den sonst üblichen Holzhammer auskommende, gerade deshalb besonders ansprechende Aktualisierung.

Loy beschränkt sich darauf, das Geschehen sensibel nachzuzeichnen. Er konzentriert sich auf ein klares Herausarbeiten der einzelnen Persönlichkeitsprofile, lässt die Personen betont natürlich in diesem Garten-, Schloss- wie Gefängnisatmosphäre suggerierenden, von dunklem Licht erfüllten Einheitsbühnenraum agieren. Subtil entfaltet sich nicht nur die Wandlung des Prinzen. Bestechend klar erscheinen auch die Wechsel von harter Realität und traumverhangener Illusion.

Die Inszenierung von Henzes „Der Prinz von Homburg“ als kammerspielartiges Nachtstück entspricht ideal Henzes musikalischen Intentionen. Im Bestreben, ein zwischen Schönberg und Strawinsky (ihm ist das Werk gewidmet) stehendes, durch eigenen Tonfall charakterisiertes Musiktheater mit Anklängen an den Belcanto zu schreiben, hat er sich für eine kammermusikalische Besetzung entschieden. Von Quinten beherrschte Leitmotive, heftig aufdrehende, dramatische Akzente, expressive, fast gläserne Mischklänge und dichte Kontrapunktik kennzeichnen diese Partitur.

Mehr der stählernen Dramatik als der aus dieser Musik auch leuchtenden Grazie zeigten sich die vom Chefdirigenten des Orchestre Philharmonique de Strasbourg, Marc Albrecht (er wird kommenden Sommer in Salzburg die ursprünglich für Nikolaus Harnoncourt reservierte „Lulu“ dirigieren), mit klarer Zeichengebung straff geführten, machmal zu lautstark auftrumpfenden Wiener Symphoniker verpflichtet.

Die beherrschende Persönlichkeit dieser Neuproduktion, die die revidierte Fassung von 1991 zeigt, ist der Gestalter der Titelpartie, Christian Gerhaher. Faszinierend durch seine Wortdeutlichkeit, rhythmische Präsenz und die Selbstverständlichkeit, mit der er das Schicksal des Prinzen vorlebt. Beeindruckender, auch berührender kann man diese Aufgabe nicht meistern. Er spielt das harmonisch zusammengesetzte, auf hohem Niveau singende und spielende übrige Ensemble mit John Uhlenhopp als Kurfürsten und Britta Stallmeister als ebenso präziser Natalie glatt an die Wand. Man muss es gesehen haben.

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