Zurück in die Fünfzigerjahre

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In die Zeit der 1950er-Jahre führen zwei neue Wiener Operninszenierungen: Georg Friedrich Händels "Rinaldo" in der Kammeroper und Olga Neuwirths "American Lulu" im Theater an der Wien.

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In die Zeit der 1950er-Jahre führen zwei neue Wiener Operninszenierungen: Georg Friedrich Händels "Rinaldo" in der Kammeroper und Olga Neuwirths "American Lulu" im Theater an der Wien.

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Was ist die wichtigste Zeit? Die 1950er-Jahre. Zumindest, wenn es nach den beiden jüngsten Wiener Musiktheaterproduktionen geht, die - wohl eher zufällig als von allem Anfang an so konzipiert - zumeist in der Mitte des vorigen Jahrhunderts spielen. Vorweg Händels erste für London geschriebene Oper "Rinaldo". Im Original eine dreiaktige Opera seria im Kreuzrittermilieu, bei der - wie im Musiktheater meist - eine Liebesgeschichte im Mittelpunkt steht, die, auch keine allzu große Überraschung, gut endet.

Thriller im Spionagemilieu

Im intimen Haus am Fleischmarkt, das schon zu Zeiten seine Gründers und ersten Impresarios, Hans Gabor, sich immer wieder auch Experimenten verschrieben hat, spielt man dieses Werk als zweiaktigen Thriller im Spionagemilieu. Auf der Bühne (Christian Tabakoff, der auch für die dazupassenden Video verantwortlich zeichnet) wird man mehrfach mit Bahnhofsatmosphäre konfrontiert. Dazu mit spannenden, unerwarteten Begegnungen, wie einem zuweilen auf der Bühne stehenden Regisseur. Schließlich erfährt man, wenigstens ansatzweise, nach der Pause, wie es offensichtlich bei Filmaufnahmen zugeht.

Denn inspiriert ist diese Inszenierung der jungen Regisseuse Christiane Lutz von den Agentenfilmen der 1950er-Jahre Alfred Hitchcocks. Und der hat sich in diese Inszenierung eben verirrt. Was weniger sein Erscheinen ganz zu Beginn dieser pointierten Produktion anlangt, sondern nach der Pause. Denn diese Umdeutung des ursprünglich auf Torquato Tassos "La Gerusalemme liberata" basierenden Librettos von Giacomo Rossi in das Spionagemilieu der jüngeren Vergangenheit hätte auch gut ohne diesen späteren Einblick in die praktische Filmarbeit auskommen können.

Trotzdem, ein insgesamt kurzweiliger Abend. Auch deswegen, weil man hier mit der Hälfte der für den originalen Händel vorgesehen Zeit auskommt und weil diese "Händel &Hitchcock"-Produktion auch musikalisch passt: Ausgeführt von rollendeckenden Mitgliedern des Ensembles des Hauses, wozu sich in der Titelrolle noch der englische Countertenor Jake Arditti gesellt. Alle einfühlsam und schwungvoll begleitet von Rubén Dubrovsky und seinem flexibel agierenden Bach Consort Wien.

Auch Olga Neuwirth haben es die 1950er-Jahre angetan. Dorthin sowie in die 1970er-Jahre hat sie ihre - wie sie ausdrücklich anmerkt -"Neuinterpretation" von Alban Bergs bekanntlich unvollendet gebliebener "Lulu" verlegt. Sie lässt diesen Opernklassiker (nun in Englisch) vor der Folie des Rassenkonflikts im amerikanischen Süden ablaufen. Damit hauptsächlich in New Orleans, aber auch in New York. Zudem stattete sie ihn mit einem neuen Schluss aus: wer Lulu ermordet hat, soll offen bleiben.

Zu viel gewagt, zu wenig geglückt

Neuwirths Interesse gilt ohnedies mehr der hier als Bluessängerin Eleanor (Della Miles) dargestellten lesbischen Gräfin Geschwitz. Im Gegensatz zu Lulu, die sich mit ihrem Schicksal als Nobelhure scheinbar abgefunden hat, macht sie sich auf die Suche nach ihrer Identität. Was - wieder einmal - in den Programmhefttexten ungleich deutlicher wird als in der meist in dunkles Licht getauchten, klischeehaften Inszenierung von Kirill Serebrennikov. Denn die Uraufführungsproduktion der Komischen Oper Berlin, mit der mehr emphatischen als charismatischen Marisol Montalvo in der Titelrolle und einem soliden Ensemble unter der souveränen Leitung von Johannes Kalitzke, ist nun im Theater an der Wien gelandet.

Freilich, neue Einblicke, gar aufregendes Musiktheater bietet diese "American Lulu" nicht. Es sei denn, man interessiert sich, wie sich Bergs Musik des ersten und zweiten Aktes, komprimiert und auf Jazzklang getrimmt, ausnimmt und ist neugierig, wie dazu Neuwirths eigene musikalische Gedanken im von ihr neu konzipierten 3. Akt passen. Bis man dahin kommt, hat der Abend, der zu viel will und - musikalisch wie szenisch - zu wenig zeigt, schon viel an Spannung eingebüßt.

Rinaldo

Kammeroper: 12., 14., 16., 21., 22., 23., 30.12.

American Lulu

Theater an der Wien: 11. Dezember

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