Geburtstagstorten-Torso für Alban Berg

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Die Grazer Oper kann wieder mit einer hochklassigen Realisierung von Alban Bergs „Lulu“ aufwarten. Leider aber nur zu zwei Dritteln – der Schluss ist zusammengeschustert.

Zuerst das Positive: Zum heuer zu begehenden 125. Geburtstag Alban Bergs stemmt die Grazer Oper das sperrige Zwölftonwerk orchestral und sängerisch so souverän, als ob es ein Stück aus dem Lortzing-Repertoire wäre. Johannes Fritzsch dirigiert einen analytisch aufgefächerten subtilen Klangkosmos, der jede Sekunde packt und mitreißt.

Gewaltige Anstrengungen bietet auch die Sängercrew, in der nur die Luxusbesetzung Iris Vermillion als statuarisch attraktive Gräfin Geschwitz ihre Partie schon repertoireerprobt hat. Acht Monate Probenarbeit machen sich für die Sopranistin Margareta KlobuÇcar in der Titelpartie bezahlt: Jeder Hochton sitzt, jede laszive Geste folgt dem Duktus der Musik. Ein großer Schritt in der Karriere dieser akribischen Sängerin. Die 32-jährige kroatische Koloratursopranistin überrascht als Lulu nicht nur durch ihre gestochen sicheren Acuti – die konnte KlobuÇcar auch schon in geglückten Auftritten als Zerbinetta, Gilda oder Lucia di Lammermoor demonstrieren. Was an diesem Abend wirklich verblüfft, ist ihr vielschichtiges Spiel. Sie ist nicht nur Kindweib mit großen Kulleraugen und scheinbar ungezielter Erotik, sie gibt auch dem einsamen Elend der Projektionsfigur männlicher Lustvorstellungen anrührende Gestalt. Ihrer Gestaltungskraft ist hier Exzeptionelles geglückt.

Außerordentlichen Körpereinsatz und stimmliche Präsenz bieten die Bässe Wilfried Zelinka als Tierbändiger-Prologus und Athlet und Konstantin Sfiris als sinistrer Schigolch. Noblen Tenorschmelz investiert Herbert Lippert in den unglücklichen Alwa Schön. Dass Ashley Holland sein Vater Dr. Schön sein soll, ist weder optisch noch akustisch stichhaltig. Als Gymnasiast macht Dshamilja Kaiser anrührende Figur. Jeweils in mehreren Rollen profiliert: David McShane (Medizinalrat, Theaterdirektor) und Manuel von Senden (Prinz, Kammerdiener). Nicht die Statur, aber immerhin die Kantilene für den Maler Schwarz hat Taylan Memioglou.

Dr. Schön in der „Führerloge“

Der junge deutsche Regisseur Johannes Erath zieht die Idee, auf der Bühne Lulu von 1900 über die (für den „entarteten“ Berg ruinöse) Nazi-Zeit in eine nicht näher definierte Gegenwart reisen zu lassen, mit wenigen Ausrutschern durch: Dass Dr. Schön in schwarzer Uniform mit deutscher Braut in der „Führerloge“ Lulus Tanzpremiere beiwohnt, das Ensemble von strammen SS-Männern sexuell drangsaliert wird, ist so aufgesetzt wie eine knappe Kinoszene, in der lauter Männer onanieren. Das hat kein Wedekind erdacht, kein Berg komponiert. Katrin Connans minimalistische Betonwand-Drehbühne kann mit einem Detail intellektuell punkten: Das in der ganzen Oper als MacGuffin wirksame Lulu-Bildnis ist ein leerer Bilderrahmen, in dem jeder der sie Begehrenden seine Wunschvorstellung realisieren kann.

Mag Dramaturgen die Frage unwichtig erscheinen, ob die zweiaktige Torso-Version (Berg hinterließ das Werk unvollendet, Berg-Schüler Willi Reich erstellte den Klavierauszug des dritten Aktes) Alban Bergs Werk angemessen ist – oder doch die vollständige dreiaktige Fassung von Friedrich Cerha aufzuführen wäre, da nur sie die symmetrische Anlage Bergs bietet: Verballhornungen wie jene in Graz, wo in einem erfundenen Pro-Prolog Lulu auf der Schaukel schaukelt und auf einer „alten Schallplatte“ (Dramaturg Francis Hüsers) elektronisch faktisch den imposanten Prolog des Tierbändigers beeinträchtigt, sind jedenfalls als Geburtstagsgeschenk ungeeignet. Wie auch der zusammengeschusterte Schluss – bei dem Lulu wieder schaukelt, die Tonbandmusik mit Material der von Berg noch vor seinem Tod selbst geklitterten „Lulu“-Suite und dem Zitat von Bachs „Es ist genug“ aus Bergs Violinkonzert aufgeplustert wird – von einem eigenartigen Verhältnis zum Werk zeugt.

Unkenntnis der Aufführungsgeschichte

Und von schlichter Unkenntnis der Grazer Aufführungsgeschichte: Denn gerade in Graz hatten es die Operndirektion und Regisseur Hans Hollmann 1981 verstanden, dem „Werk Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, das bislang verstümmelt gewesen war“ (Pierre Boulez), indem man Jahre vor der Wiener Staatsoper Friedrich Cerha die vollständige Berg-Oper heimholen ließ.

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