Dem Verhältnis von Masse und Individuum auf der Spur

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Friedrich Cerha, Komponist, Dirigent, Musikwissenschafter, durch die Fertigstellung von Alban Bergs "Lulu“ einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden, unermüdlicher Innovator, wird am 17. Februar 85.

Nicht immer macht es Freude, mit anderen Größen in Verbindung gebracht zu werden. Oft tritt dadurch das eigene Verdienst in den Hintergrund. Wie bei Friedrich Cerha. Jahrelang war er einer breiteren Öffentlichkeit vor allem als Vollender von Alban Bergs Oper "Lulu“ bekannt. Dabei, betont er stets, hat er nichts anderes getan, als aufgrund vorhandener Quellen die Orchestrierung des dritten Aktes fertigzustellen. Freilich so vollendet, dass selbst Kenner nur schwer erkennen, was von Berg selbst orchestriert wurde und was von Cerha.

Cerha hat sich durchgesetzt

1979, bei der Uraufführung der komplettierten "Lulu“ in Paris unter Pierre Boulez, war man sich noch unschlüssig. Längst gehört es quasi zum guten Ton, die Oper nicht in der bis dahin üblichen zweiaktigen Version, sondern in Cerhas Fassung aufzuführen. Einer der Siege, die Cerha, stets unterstützt von seiner Frau Gertraud, im Laufe seiner lebenslangen Überzeugungsarbeit errungen hat.

Ein Jahrzehnt später war der promovierte Germanist und Musikwissenschafter - Friedrich Cerha dissertierte über "Der Turandot-Stoff in der deutschen Literatur“ - Musikerzieher an mehreren Wiener Mittelschulen, reiste zu den Darmstädter Ferienkursen, gründete mit dem Ensemble "die reihe“ die erste österreichische Formation für zeitgenössische Musik und machte mit ersten seriellen Kompositionen international auf sich aufmerksam.

Mit seinen in diesen Jahren entstandenen Orchesteropera "Mouvements“, "Fasce“ und dem "Spiegel“-Zyklus kreierte er zeitgleich mit seinem lebenslangen Freund György Ligeti und dem erst nach dessen Tod entdeckten Giacinto Scelsi eine neue Kompositionstechnik, die bald als Klangflächenkomposition bekannt wurde.

Parallel zu seiner Komponistenkarriere stieg Cerha, den man mittlerweile als Professor an die Wiener Musikhochschule berufen hatte und der auch Präsident der Österreich-Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) war, zum weltweit gesuchten Dirigenten auf. Werke der jüngsten Gegenwart wie der Zweiten Wiener Schule fanden in ihm einen idealen Anwalt. Kaum ein Festival Neuer Musik, das ihn nicht eingeladen hat, aber auch bedeutende Klangkörper, darunter die Berliner Philharmoniker, oder renommierte Opernhäuser, wie das Teatro Colón in Buenos Aires, die Deutsche Oper Berlin oder die Bayerische Staatsoper München, wo er die Opernfestspiele 1985 mit Bergs "Lulu“, selbstredend in der von ihm komplettierten Version, eröffnete.

"Baal“, "Rattenfänger“, "Riese“

Cerhas Œuvre, das auch Bearbeitungen fremder Werke umfasst, reicht von Chören und Liedern über unterschiedlich besetzte Kammermusik, Konzerte, Orchester- und Ensemblewerke bis zu abendfüllenden Bühnenwerken, wie dem für die Salzburger Festspiele geschriebenen "Baal“, der in Graz uraufgeführten Oper "Der Rattenfänger“ oder dem für die Wiener Staatsoper komponierten "Riesen vom Steinfeld“. In letzteren handelt er, auf unterschiedliche Weise, sein spezifisches kulturphilosophisches Interesse ab: das Verhältnis von Masse und Individuum.

Am 17. Februar feiert der mit höchsten Auszeichnungen geehrte Wegbereiter und Innovator Neuer Musik seinen 85. Geburtstag.

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