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Eine österreichische Erstaufführung

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Eines der schwierigsten, kompliziertesten und anspruchsvollsten modernen Opernwerke hatte in der Mitte der zwanziger Jahre einen ungewöhnlichen und aufsehenerregenden Erfolg: Alban Bergs „Wozzek", mit dem seither der Name des Komponisten eng verbunden ist. An allen größeren Opernbühnen Deutschlands, in fast sämtlichen Metropolen Europas und auch in Amerika wurde das Werk gegeben und hatte beim Tode seines Schöpfers (Weihnachten 1935) rund anderthalb hundert Aufführungen erreicht. — Seit dem Jahre 1905 beschäftigte den Komponisten ein zweiter Opernstoff: die Gestalt der Lulu, die im Mittelpunkt eines Szenariums steht, das sich Berg aus Wedekinds „Erdgeist“ und „Büchse der Pandora“ selbst geschaffen hat. Beim TOM des Komponisten war die Komposition beendet, der letzte Akt — bis auf zwei Bruchstücke — nicht instrumentiert. In dieser Gestalt wurde die Oper „Lulu“

1937 beim Internationalen Musikfest in Zürich uraufgeführt, und so hörten wir sie auch in der 100. Modernen Stunde der Ravag unter Herbert Häfner. Ob dem Werk

— in der von Grund auf veränderten geistigen Situation der Gegenwart und dem rauheren Gefühlsklima unserer Zeit — ein ähnlicher äußerer Erfolg beschieden sein wird, erscheint zweifelhaft. Denn nicht nur der Text, sondern auch die Musik Bergs wurzelt in einer Sphäre, die uns fremdartig genug anmutet, die freilich Immer wieder verzaubern wird und für so bedeutende Künstler, wie Trakl, Heym, Schiele und andere, Lebenselement war. — Bei der konzertanten Aufführung trat der problematische Text zugunsten der Musik stark zurück. Diese ist großartig und faszinierend. Faszinierend durch die einheitliche intensive Stimmung einer bald gedämpften, bald wilden Trauer über das Schicksal der Schönheit und den wüsten Lebenstraum, als der sich uns das Leben der Lulu darstellt, die selbst zerstört wird, nachdem sie zur Zerstörerin und zum unabwendbaren Verhängnis für alle geworden war, die in ihren Lebenskreis traten, „eine Seele, die sich im Jenseits den Schlaf aus den Augen reibt..

— Dem Einbruch des Chaotischen begegnet Berg durch eine beispiellose Strenge und Konsequenz der musikalischen Formen. In dieser Partitur steht kaum eine Note „zufällig“ oder um des bloßen Klangreizes willen. Während im „Wozzek“ jede Szene einer bestimmten musikalischen Form entspricht, sind hier die Formen oder bestimmte Instrumentalensembles den einzelnen G e- s t a 11 e n zugeordnet und kehren leitmotivisch wieder oder werden in großangelegten Durchführungen auskomponiert. So ergeben sich musikalische Gebilde, deren Kompliziertheit nur noch von der Intensität ihrer Wirkung übertroffen wird. Nach einmaligem Hören bleiben im Gedächtnis und Gefühl vor allem einige Zwischenspiele und Verwandlungsmusiken, in denen sich Berg als der große, einzigartige Adagio- und Espressivo-Komponist bewährt, als den wir ihn auch schon im „Wozzek“ keimenigelernt haben. — Eina achtmonatige Vorbereitungsarbeit mit rund 20 Orchesterproben hat diese Aufführung im Rahmen der „Modernen Stunde" ermöglicht, auf die wir noch zurückkommen werden.

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