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Die ganze „Lulu“

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(Paris, Palais Garnier.) Tout Paris geriet ins „Lulu“-Fieber, es schien kaum noch anderen Gesprächsstoff zu geben. Gut 43 Jahre nach Alban Bergs Tod, knapp 42 Jahre nach der Uraufführung seiner fragmentarisch gebliebenen Oper „Lulu“ wurde diese ein zweites Mal uraufgeführt, und zwar mit dem dritten Akt - wieder im Ausland, im pomphaften Palais Garnier, das eigentümlich mit Frank Wedekinds Gesellschaftskritik (der „Lulu“-Text ist ein Kondensat aus den Dramen „Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“) korrespondierte.

Das Werk gehört in den Umkreis der Zweiten Wiener Schule. Wien und Paris: das fügte sich psychologisch und künstlerisch wieder einmal gut zueinander. Das Pariser Inszenierungsteam -Regisseur Patrice Chereau, Bühnenbüdner Richard Peduzzi, Kostümbildner Jacques Schmidt sowie Pierre Boulez am Pult, also identisch mit den Produzenten des „Jahrhundert-Ringes“ in Bayreuth - hatte die Signale in Richtung endzwanziger Jahre gesetzt.

Assoziationen mit Bildern von Egon Schiele, mit den Kostümen der Wiener Werkstätten stellten sich ein. Eine Untergangsgesellschaft taumelte lustvoll in die Katastrophe, die sich in individuellen Tragödien widerspiegelte.

Diese Zeit ist auch mit der Vorgeschichte der Pariser Uraufführung verbunden, die das Werk zum ersten Mal vollständig auf die Bühne brachte. Unmittelbar nach Bergs Tod (Weihnachtsabend 1935) hatte sich dessen Lehrer und Freund Arnold Schönberg für die restliche Ausführung des dritten Aktes angeboten. Doch dann fand er in Bergs Texteinrichtung und in der Partiturskizze manche Stellen, die ihm von dem geplanten Vorhaben wieder abbrachten.

Jetzt stellte der Wiener Komponist, Dirigent und Hochschullehrer Friedrich Cerha die Endfassung der Oper her - aus Bergs nahezu lückenlosen Aufzeichnungen. Zu leisten war ein Akt der Einfühlung, ein Versuch, von Berg Gewolltes und Gemeintes, aber in Komposition und Instrumentierung nicht mehr Ausgeführtes in bühnenpraktische Notation zu übersetzen.

Die Aufführung konnte die vorangegangenen Probenbelastungen nicht ganz verleugnen: Bis fast zur letzten Stunde war das Unternehmen durch Streik und Streikdrohungen gefährdet. Bruchlos die' schauspielerische Ebene mit der wunderbar intensiven, gesanglich der Lulu-Partie nicht vollends gewachsenen, daher auch durch den Streß beeinträchtigten Teresa Stratas; viel Mittelmaß, zumindest Farblosig-keit im Ensemble.

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