Gegen Götter und Väter zu neuen Ufern

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Pierre Boulez, wegweisend als Komponist und Dirigent, feiert am 26. März seinen 85. Geburtstag. Von Beginn an nahm er Neues ebenso ernst wie längst Etabliertes und gab stets auch dem Unkonventionellen eine Chance.

„Es ist besser, etwas gut zu machen oder besser zu machen als andere, aber in einem bestimmten Feld. Dazu bedarf es gründlicher Vorbereitung“, betonte Pierre Boulez vor Jahren in einem Interview. Besser hätte er sich nicht charakterisieren können. Mathematiker sollte er werden. Das jedenfalls hatte der Vater, ein Ingenieur und Industrieller, mit seinem in Montbrison geborenen Sohn vor. Der besuchte zwar die Ecole Polytechnique in Lyon, setzte aber gleichzeitig seine längst begonnene musikalische Ausbildung fort. Zuerst bei Lionel Pachmann, dem Sohn des großen Pianisten Vladimir de Pachmann, später am Pariser Conservatoire, dann bei Andrée Vaurabourg-Honegger, der Gattin des Komponisten Arthur Honegger, schließlich bei Olivier Messiaen und beim Anton-Webern-Schüler René Leibowitz. „Messiaen hat mir das Metier des Musikschreibens eröffnet, bei Leibowitz lernte ich Analyse. Ich bin aber von beiden schnell weggegangen“, kommentierte er später. Eigenständigkeit bestimmte von früh an seinen Weg.

Opernhäuser in die Luft sprengen

Seine ersten Kompositionen stehen noch unter dem Einfluss der Zweiten Wiener Schule. Die spätere Äußerung „Schönberg ist tot“ erklärt Boulez damit, dass Schönberg damals wie ein Gott betrachtet wurde, der einer Weiterentwicklung im Wege stehe. Götter und Väter müsse man töten, um zu neuen Ufern zu finden. Aufmerksamkeit erregte er mit der Forderung, die Opernhäuser in die Luft zu sprengen und der Beschreibung von Opernintendanten als „zweimal lackierte Friseure, die einem ganz oberflächlichen Modernismus huldigen“. Da wie dort ging es ihm um den Mut, Neues ebenso ernst zu nehmen wie längst Etabliertes, und Unkonventionellem eine Chance zu geben.

Daraus entwickelte sich auch seine nie angestrebte Dirigentenkarriere. „Ich habe zu dirigieren begonnen, um die Musik meiner Generation aufzuführen. Es gab nicht so viele Dirigenten, die das konnten und wollten. Als ich mit dem Dirigieren begonnen habe, bemerkte ich, dass ich dafür eine bestimmte Begabung habe. Das war für mich völlig unerwartet“, beschreibt er mit der ihm eigenen Nüchternheit und Klarheit ihre Anfänge. Sie führte ihn vom Direktor der Theatermusik der Compagnie Renaud-Barrault zur Leitung der Domaine Musical, den Donaueschinger Musiktagen, zu Chefpositionen beim BBC Orchestra London, den New Yorker Philharmonikern und dem von ihm begründeten Ensemble Intercontemporain, nach Bayreuth, wo er den Jahrhundert-„Ring“ und „Parsifal“ dirigierte sowie als ständiger Dirigent zu den Wiener und Berliner Philharmonikern und den Orchestern von Cleveland, Chicago und Los Angeles. Zwischen 1960 und 1963 unterrichtete Boulez an der Musikakademie Basel, ab 1963 an der Harvard University. 1971 gründete er das Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique (IRCAM) in Paris und wurde dessen erster Direktor.

Komponieren vor Dirigieren

Trotz dieser vielfältigen Tätigkeiten, für die er mit einer Vielzahl höchster Ehrungen bedacht wurde, hat Boulez nie auf seine eigentliche Aufgabe, die Komposition, verzichtet. Weil ihm weitreichende eigenständige Kreativität stets wichtiger war als noch so brillante nachschöpferische Kompetenz, er zudem weiß, dass Komponieren eine größere Herausforderung darstellt als Dirigieren. Folgerichtig vielfältig präsentiert sich sein anfangs durch die Zwölftontechnik bestimmtes, später seriellen Techniken und der Neugier für elektroakustische Möglichkeiten verpflichtetes Œuvre. Darunter Klassiker wie „Le Marteau sans Maître“, „Rituel“, die als work-in-progress gedachte Orchesterversion seines frühen Klavieropus „Douze Notations“, „Répons“ oder „Anthèmes“.

So unterschiedlich sein Œuvre auch ist, geeint ist es durch die Konzentration auf Klang und Struktur. Schließlich gehören sie „genauso zusammen wie Raum und Form“.

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