"Angenehm, Stockhausen"

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Karlheinz Stockhausen blieb zeitlebens umstritten. Aus dem überheblichen, zornigen jungen Mann wurde ein im Alter seltsamer Heiliger, der selbst seine Jünger verstörte, als er die Terroranschläge vom 11. September 2001 als "das größte Kunstwerk Luzifers, das es je gegeben hat", bezeichnete.

Schon Jahrzehnte davor wurde klar, dass da ein religiöser Revolutionär am Werk war, dem Realität und Kunst verschmolzen. Einer, dessen bedingungslos eigenständiges Denken in der Musik, dessen initiatives Schaffen und präzises verbales Formulieren ihn zum innovativsten und damit wichtigsten deutschen Nachkriegskomponisten machten. Karlheinz Stockhausen, 1928 in Mödrath nahe Köln geboren und nun am 5. Dezember in seiner Künstlerheimat Kürten bei Köln gestorben, war ab den frühen fünfziger Jahren eine Galionsfigur der Musik des 20. Jahrhunderts.

Sein Schaffen enthält neben den Erfindungen seiner überreichen eigenen Phantasie die wichtigsten Ausprägungen der Musik nach 1945: serielle, aleatorische, elektronische, statische und rituelle, intuitive und kosmische Musik, Moment- und Prozesskompositionen, Formel- und multiformale Werke. Stockhausen schuf insgesamt rund 300 von undogmatischer Vielseitigkeit geprägte Kompositionen. "Dass ich mir persönlich nichts darauf einbilde, weiß jeder", sagte er schon Mitte der 1970er Jahre, "denn ich habe unzählige Male gesagt und geschrieben, dass ich nicht die Quelle meiner Musik, sondern Gott dankbar bin, wenn mir Musik einfällt und durch mich in diese Welt kommt."

Das hat ihm, bei Gott, nicht jeder abgenommen. Stockhausens Musik stieß stets auf Widerstand. Selbst in Darmstadt galt das "Kreuzspiel" 1952 als "zu modern", die Uraufführung endete 1952 mit einem Skandal. In demselben Jahr erhielt er jedoch seinen ersten Kompositionsauftrag für die Donaueschinger Musiktage, ein Jahr später wurde er Mitarbeiter im elektronischen Studio des WDR Köln. Stockhausen, der im Krieg beide Eltern verloren und in Köln Klavier, Schulmusik, Musikwissenschaft, Philosophie und Germanistik studiert hatte, stieg kometenhaft auf. Olivier Messiaen und das Werk Anton Weberns prägten ihn, zusammen mit Pierre Boulez und Luigi Nono wurde er zum Wortführer und Vorkämpfer der jungen europäischen Komponistengeneration. Stockhausen schrieb die ersten rein elektronischen Werke der Musikgeschichte, die "Dritte Epoche der Musik" begann und wurde heftig bekämpft. Die Rock- und Techno-Szene freilich fühlte sich enorm angesprochen und machte "Papa Techno" zu einer ihrer Ikonen.

Stockhausens Sendungsbewusstsein, seine unerschöpfliche Phantasie und Erfindungskraft provozierten nicht minder als seine Werke. Er besaß Fleiß und Frechheit, Charisma und merkantile Cleverness, technischen Sachverstand und Arroganz. Gespräche, so er sie überhaupt gewährte, mündeten nicht selten in Angriffen: "Sind Sie noch bei Trost, mir diese Frage zu stellen?"

Bei Wien modern 1989 konnte man dem Komponisten, Dirigenten und Lehrer begegnen. Als er 1983 drei Tage lang bei der Galerie St. Barbara in Hall/Tirol zu Gast war, betrat er prüfend den Konzertsaal, schrieb Zeichen in die Luft, befand: "Die Schwingung stimmt" und drehte sich dann zum Hausmeister um: "Angenehm, Stockhausen".

In den letzten beiden Jahrzehnten widmete sich Stockhausen nur noch seinem musikdramatischen Riesenzyklus "LICHT - Die sieben Tage der Woche", deren erste Teile an der Mailänder Scala aufgeführt worden sind.

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