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Das Recht der geistigen Minoritat

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Es waren eigenartig ergreifende Augenblicke, *ls in dem Schlußkonzert der diesjährigen Donaueschinger Musiktage Arnold Schönberg, der 1951 Verstorbene, durch die Medien von Schallplatte und Lautsprecher das Wort ergriff. Es handelte sich um Ausschnitte aus einer Ansprache, die Schönberg im Jahre 1931 anläßlich einer Aufführung seiner „Variationen für großes Orchester“ im Frankfurter Rundfunk unter der Leitung von Hans Rosbaud gehalten und die auch heute nichts von ihrer Aktualität verloren, hat. Es war kein Plädoyer für die eigene Kunst, es war ein Plädoyer für den schöpferischen Menschen überhaupt: vom „Recht der geistigen Minorität“, gehört und beachtet zu werden, von den Grenzen der Masse der Majorität, die dort beginnen, wo das einsame Wagnis, die einsamen Entscheidungen sich vollziehen, wo der künstlerisch Schöpferische wie der Pionier der Technik oder der Bezwinger höchster Berggipfel Neuland erobern. Damit hat Arnold Schönberg genau das ausgedrückt, um was s bei den Donaueschinger Musiktagen jeweils und nun seit über dreißig Jahren geht. Ueber die Auswirkung derartiger Musiktage auf das praktische Musikleben und Konzertwesen darf man sich keinerlei Illusionen hingeben. Aber was da in Donaueschingen geschieht, verwirklicht das „Recht der geistigen Minorität“, gefördert durch fürstliches Mäzenatentum und die tatkräftige Hilfe des Südwestfunks.

Freilich: Was beim schöpferischen Künstler ein imponierendes, geistig tief gründendes musikalisches Weltbild ist, zerfällt bei den jüngeren Nachfahren nicht selten in Einzelzügen, die sich zu verabsolutieren drohen. Man hält sich ans — erlernbare — System und weiß nichts mehr von den vollen Registern orchestraler Vielstimmigkeit, die ein Schönberg noch zu ziehen verstand. Beispiele dafür lieferten gerade die Jüngsten der in Donaueschingen Uraufgeführten: der 31jährige Schweizer Jacques Wildberger mit seinen „Tre Mutazioni per orchestra da camera“ oder der 27jährige Italiener Luigi Nono mit seinen „Due espressioni per orchestra“, Werke, denen die Ueberspekulation und die Daseinsangst die Kehle zuschnürt und die Hand verkrampft und die eigentlich mehr als vormusikalische Klangspiele zu werten sind. Beide, Wildberger wie.Nono, hatten denn auch die Ehre, in Donaueschingen ausgepfiffen zu werden. Den schlimmsten Durchfall freilich erlebte G i s e 1 h e r Klebe, der Konstrukteur jener „Zwitschermaschine“, mit seinen „Fünf Römischen Elegien“ (nach Goethe) für Sprechstimme, Klavier, Cembalo und Kontrabaß, eine fragliche Klangkulisse, die eine innere Beziehung zum Dichterwort nicht finden kann, ganz abgesehen davon, daß man es als barbarisch empfinden mußte, wie hier Goethes intim-idyllische Dichtung per Lautsprecher einem Massenauditorium preisgegeben wurde, und dazu noch von einem exemplarisch schlechten Sprecher.

Das - dominierende Erlebnis des ersten Donaueschinger Uraufführungskonzerts war Karl Amadeus Hartmanns „Konzert für Klavier, Bläser und Schlagzeug“, in dem sich kraftvolle Vitalität 'und eine subtil-durchsichtige Satzkunst so die Waage hielten, daß auch harmonische Kraßheiten dem unmittelbaren Erfolg nicht im Weg standen. K. A. Hartmann hat auch mit diesem Werk bewiesen, daß er zu den Besten zeitgenössischer deutscher Musik gehört und daß Kontakt zum Hörerpublikum sich allemal aber nur dann herstellt, wenn hinter dem Werk eine starke geschlossene Künstlerpersönlichkeit steht. — In enger geistiger wie stilistischer Nachbarschaft zu dem Klavierkonzert K. A. Hartmanns stand die deutsche Erstaufführung des auf der Biennale in Venedig 1953 uraufgeführten „Orchester-Ornaments“ von Boris Blacher. Dieses Virtuosenstück variabler Metrik verbirgt die unglaublichen Schwierigkeiten und Kompliziertheiten seiner Satzkunst hinter einer fast eleganten, jedenfalls höchst eingängigen Diktion und weiß die mathematische Künstlichkeit der einzelnen Bausteine durch einen symmetrischen Gesamtaufriß zur klingenden Synthese zu bringen, so daß man dieses als Musterbild heutiger Musik bezeichnen darf. Eine ziemliche Enttäuschung bereitete dieses Mal Olivier Messiaen den Freunden seiner Kunst. Sein „Reveil des oiseaux“ enthüllte sich als reichlich platte und trockene Programmusik, deren ornithologische Gründlichkeit und Pedanterie man diesem Musiker nicht zugetraut hätte. Dagegen errang sich Gian-Francesco Malipiero mit seiner „Elegia e Capriccio“ begeisterten Beifall, für den sich der greise Meister der italienischen Moderne sichtlich bewegt bedankte. Mit souveräner Hand und in klarer Thematik entwirft hier Malipiero in feierlichem Ernst wie in gelöster Heiterkeit ein tönendes Weltbild, das Musik sein will und nichts als dies.

Damit den Donaueschingef Musiktagen die Sensation nicht fehle, hatte man sich aus Paris Pierre Schaeffer mit seinem Ensemble verschrieben, um dem entsetzten Publikum die „M usique concret e“, ein „S p e c t a c 1 e lyrique“: „Orphee 53“, vorzuführen. Nun, diese konkrete Musik, auf Magnetophonbänder fixierte und überblendete Geräusche vom Lispeln und Kinderwimmern bis zum Donnergrollen, hat mit Musik natürlich nichts zu tun. Es sind komponierte Geräusche, die im Rundfunk bei Hörspielen, im Tonfilm oder vielleicht auch bei der Geisterbahn auf dem Rummelplatz sicher gute Dienste leisten, wenn es sich darum handelt, den Nervenverbrauch der Hörer auf ungeahnte Höhen hinaufzutreiben. Und was „Orphee 53“ angeht, so mußte man so etwas besser erfahrenen Theaterleuten oder, noch besser, einem Künstler anvertrauen. Die herzhafte Kitschigkeit und der ahnungslose Dilettantismus, die uns hier langweilten, verfielen mit Recht der allgemeinen Ablehnung. Zum mindesten hatte man in Donaueschingen Diskussions- und Gesprächsstoff. „Es hat viel unnützes Gerede gegeben“, wie die Kinds-Anna in Thomas Manns „Unordnung und frühes Leid“ zu sagen pflegt.

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