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die reihe IV und andere Zeitgenossen

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In ihrem letzten Programmheft erinnern die Veranstalter der „reihe“ noch einmal an die Idee dieses Zyklus: ein unabhängiges Forum zu schaffen, das Gelegenheit zur Information über alle Erscheinungen bietet, die in der gegenwärtigen Situation musikalischen Denkens von Interesse sein können. Das musikalischeDen k e n bestimmte vor allem die beiden an'cTiesem “Abend erstaufgefuhrten Werke:'ein Quintett des Ungarn Istvan Zelenka (Jahrgang 1936) und ein Nonett mit dem Titel „Penthatis“ des Amerikaners Earle Brown (geboren 1926), 6ehr systematische, unpersönliche und daher ziemlich langweilige Stücke, die an Spieler und Hörer recht unbillige Anforderungen stellen. — Auch Pierre B o u-lez ist ein strenger Systematiker der Reihentechnik, aber bei ihm kommt ein eigenwilliges, ungebärdiges, zuweilen gewalttätiges Temperament dazu, 60 daß seine Musik — wenn auch nicht gefällt, so doch auf weite Strecken zu interessieren, ja zu faszinieren vermag. Die junge amerikanische Pianistin Charlotte Z e 1 k a leistete bei der Wiedergabe der bereits vor zehn Jahren begonnenen Sonate von Boulez Ungewöhnliches an Musikalität, Einfühlung, physischer Kraft und Gedächtnis. — Auch um 1912 gab es einen Zeitstil. Es bestätigen ihn die aus dem gleichen Jahr stammenden Liedkompositionen zweier so verschiedener Individualitäten, wie Igor S t r a-w i n s k y und Anton von Webern in „Trois poesies de la lyrique japonaise“ für Sopran und neun Instrumente (zarte, farbige Gebilde mit — trotzdem! — scharfer Kontur) und „Zwei Lieder“, op. 8, für Gesang und acht Instrumente auf schmachtende Rilke-Verse, die Webern in ein hochdifferenziertes, durchbrochenes Klanggewebe gekleidet hat. Zum Schluß „Octrande“ von Edgar Varese für acht Bläser aus dem Jahr 1924, insofern vielleicht das interessanteste Werk dieses Konzertes, als damit erstmalig seit 194; dieser berühmte Avantgardist der neuen Musik (Jahrgang 188 5) in Wien zu Wort kam. Hier werden kurze Motive und Signale zu wuchtigen Klangblöcken aufeinandergeschicbtet und gegeneinander bewegt: ein erregendes, neuartiges Hörerlebnis, das noch lange nach dem Verklingen des letzten Akkordes präsent ist. Friedrich C e r h a und Kurt Schwertsik waren die Dirigenten des wohlvorbereiteten Konzerts, Marie Terese E s c r i b a n o sang die Sopranpartien.

Das Fortwirken alter Formen und die Pflege historischer Instrumente, wie des Cembalos, wurde bei einem Kompositionsabend im Konservatorium der Stadt Wien in aufschlußreicher Weise gezeigt. Franz Schmitzer, derzeit an diesem Institut pädagogisch tätig, beweist mit seinem „Triptychon für Klavier“ einen hervorstechenden Sinn für Architektonik. Die einzelnen Sätze 6ind knapp formuliert, folgerichtig einander zugeordnet und temperamentvoll im Ausdruck; das gilt ebenso für die „Miniaturen für Cembalo“. Die „drei Mährischen Toccaten“ können zu den interessantesten Stücken gerechnet werden, welche dieser Komponist geschrieben hat. Alte Form und historischer Instrumentenklang vereint sich mit volkstümlichen Elementen. Die „Partita für Cembalo“ . von. Ernst... K älx: entstand;n .invjajhrj! lASjCUJitwkt klanglich eher dem modernen Klavier zugeordnet als dem Cembalo. Die „Integration für Geige“ von Anestis Logothetis zieht aus dem Kontrast besinnlicher Episoden und von der Unrast der Zeit berührten Fügungen effektvollen Gewinn. Die Lieder von Gerhard Lampersberg sind Augenblicksimpressionen, welche die Sopranstimme vor schwere Aufgaben stellten. Die „Kleine Musik für ein kleines Tafelklavier“ von Hans Erich Apostel wirkt ungemein klar und eingängig im Melodischen. (Gertrud Schmitzer spielte Klavier und Cembalo, Dr. Friedrich Cerha die Violine, und Maya Weis-Ostborn 6ang, von Karin Passl begleitet.)

Da die Uraufführung des Oratoriums „Kein Mensch kennt seine Zeit“ von Raimund Weißensteiner auf einen späteren Zeitpunkt verschoben wurde, dirigierte der Komponist im Großen Konzerthaussaal nur bekannte und an dieser Stelle bereits gewürdigte Werke: die Suite für Streichorchester, mit ihrer Dauer von 23 Minuten symphonisches Format annehmend; die phantastischen Choralvariationen für großes Orchester über „Dies. Irae“, vor fünf Jahren geschrieben; und die 4. Symphonie, deren erster Satz sich durch ein besonders einprägsames Kopfthema auszeichnet.

Da J. S. Bach und die Interpretationen seiner Werke an der Wiege des Stuttgarter Kammerorchesters gestanden sind, das vor fünfzehn Jahren Karl Münchinger gegründet hat, der auch diesmal, bei der Wiedergabe der Brandenburgischen Konzerte, den Dirigentenstab führte, kam dem Gastspiel im Großen Konzerthaussaal in Wien besondere Bedeutung zu. Erstaunlich war die klare Gliederung beim Aufbau der Grundformen. Keine mechanische Geläufigkeit, die alles am Schnürchen ablaufen läßt, sondern eine organisch wachsende, aus dem Geist der Musik steigende Gestaltung. Neben aller scharfen geistigen Analyse waltete überall die Freude am Spiel, am Schwung, an der schwebenden Leichtigkeit, bei der die Streicher und Holzbläser ebenso Glanzlichter aufzusetzen wußten wie die Hörner, bei denen man auch bei den bewegtesten und exponiertesten Stellen nichts zu fürchten hatte. — Im Cembalokonzert f-moll zeichnete sich als Solistin Irmgard Lechner durch die stilgetreue Einfügung ihres Instruments in den Streicherklang aus. Es gab starken Beifall.

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