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Schönberg und die jungen Künstler

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Vor einigen Tagen starb in Paris der Musikwissenschaftler, Komponist und Dirigent, Renk. Leibowitz. Die Nachricht verhallte, ohne Aufsehen zu erregen. Wenige entsinnen sich auf die entscheidende Rolle, die er in den Nachkriegsjahren spielte und den Einfluß, den er auf den Nachwuchs ausübte.

Dabei verdankt man Leibowitz die ersten Schönberg-Aufführungen der späten vierziger Jahre. Boulez studierte damals zusammen mit Serge Nigg, Jean-Louis Martinet und Maurice Le-Roux bei Olivier Messiaen. Von Schönberg kannten sie nur die Klavierstücke op. 11 und den Pierrot Lu-naire, beides Werke, die noch der freien Atonalität angehören. Die Begegnung mit den ersten dodekaphonischen Stücken,

Schönbergs Quintett für Bläser und Weberns Symphonie, schlugen ein wie eine Bombe; mit dem Schock der Überraschung kam gleichzeitig die Erkenntnis, daß hier der Weg in die Zukunft lag und gemeinsam wandte sich der französische Nachwuchs an Leibowitz, den Veranstalter jener Aufführungen, um durch ihn in die Geheimnisse der Dodekapho-. nie eingeweiht zu werden.

Kurze Zeit darauf, im Sommer 1948, ging Leibowitz zum erstenmal nach Darmstadt, wo man damals darum bemüht war, Versäumtes nachzuholen und die Werke der letzten vierzig Jahre kennen zu lernen. „Das wichtigste Ereignis der dritten Darmstädter Ferienkurse ist die deutsche Erstaufführung von Arnold Schönbergs Klavierkonzert unter der Leitung von Rene Leibowitz“, heißt es in einem Bericht über die Premiere. Auch dort hatte die Begegnung eine explosive Wirkung, und die jungen deutschen Komponisten, unter ihnen Hans Werner Henze, strömten zu Leibowitz, um sich von ihm in der neuen Methode unterweisen zu lassen. Sein Einfluß war sehr groß und kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Vier Jahre lang kam Leibowitz regelmäßig nach Darmstadt. Gegen 1952 begann in der Geschichte der Neuen Musik das, was Ulrich Dibelius als den zweiten Abschnitt bezeichnet. Die Zeit des Nachholens und der Orientierung war beendet, und allmählich entwuchsen die jungen Komponisten der Abhängigkeit von ihren Lehrern. Es wurde still um Leibowitz. Gelegentlich begegnete man ihm als Dirigenten, auch seine streng dedekaphonischen Kompositionen wurden von Zeit zu Zeit aufgeführt, aber dadurch, daß er den Prinzipien der Wiener Schule unbeirrt treu blieb und jede Entwicklung ablehnte, ging die Zeit an ihm vorbei. Die Rolle, die er vor 25 Jahren spielte, kann und darf jedoch nicht vergessen werden.

Leibowitz stammte aus Polen. Er wurde 1913 in Warschau 'geboren und kam als Dreizehnjähriger nach Frankreich, das ihm zur zweiten Heimat wurde. Während des Krieges lebte er unter der Drohung Hitlers und bereitete während dieser Jahre der Abgeschlossenheit sein Werk vor. Im Jahre 1947 erschien sein bahnbrechendes Buch „Schoenberg et son ecole“, ein Werk, welches an das musikalische Bewußtsein einer ganzen Generation rührte und unübersehbare Folgen hatte. Auch die beiden folgenden Bücher, „Que'st-ce que la musique de douze sons“ (1948) und „In-troduction- ä la musique de douze sons“ (1949) wurden von der Jugend mit leidenschaftlichem Interesse gelesen. Man findet sie heute in jeder musikwissenschaftlichen Bibliothek und sie gehören zu den Klassikern der Schönberg-Schule. In ihnen wird Leibowitz weiterleben.

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