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HERBERT VON KARAJAN: LEITER DER SALZBURGER OSTERFESTSPIELE

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Von der Faszination des Dirigenten und von Klangmagie wird seit Nikisch gesprochen, der damit wohl der eigentliche Vorfahr Karajans war. Zynischen dem flammenden Pathos der subjektiven Werkdeutungen Furtwäng- lers und Toscaninis Versuchen einer objektiven, strengen Werktreue zielt Karajan mitten hindurch: Er verkörpert ein neues Musizierideal.

Dafür hat er sich seine eigenen Gesetze geschaffen. Sie sind beherrscht von dem unbändigen Willen, ein höchstmögliches Maß an Intensität und Schönheit jeder einzelnen Note abzugevainnen. Die Ergebnisse seiner Bemühungen haben stets eine imposante Geschlossenheit und einen hohen, unverwechselbaren Beiz. Sowenig die genannten Berühmtheiten früherer Zeiten „bessere” Dirigenten als ihre wichtigsten Zeitgenossen, als Mahler, Bruno Walter oder Erich Kleiber waren, so wenig ist Karajan heute ein „besserer” Dirigent als andere Orchesterleiter der internationalen Spitzengruppe. Doch wie Nikisch und Furtwängler ist er der „berühmteste”, weil er es mehr als die anderen neben ihm versteht, sich und der Musik, die er macht, eine eigene, unverwechselbare Atmosphäre zu schaffen. (Und das nicht zuletzt kraft seiner Persönlichkeit.) Um diese Atmosphäre zu verwirklichen, hat er sich im letzten Jahrzehnt in den Berliner Philharmonikern ein Instrument geschaffen, das seine Intentionen mit willigster Hingabebereitschaft und phänomenalstem technischem Können erfüllt. Die philharmonische Ganzheit wird aus dem Reichtum vollendeter solistischer Leistungen gewonnen.

Das ist es wohl gerade, was Karajan immer wieder aufs neue reizt: den Ehrgeiz all dieser Virtuosen anzustacheln, sie aneinander hochzuspielen. Man kann sich leicht vorstellen, wieviel Willenskraft der Dirigent aufbringen muß, das von jedem einzelnen Geforderte dann wieder zu einem Ganzen homogen zu verbinden. Diese Kunst Karajans zu beobachten, gehört zum Faszinierendsten, was Konzert- und Opernwelt heute zu bieten haben. Das äußere Bild seines Dirigie- rens ist dabei von den inneren, musikalischen Vorgängen nicht zu trennen. Der lässige Gang durchs Orchester zum Pult ist nur das Vorspiel. Dann gibt er mit ebenso konzentrierter Gespanntheit wie lockerster Gelassenheit seine Signale. Seine Gestik ist immer sparsamer geworden. Nur ganz selten noch holt er mit. beiden Armen, hoch über den Kopf gereckt, zu seinen wuchtigen Niederschlägen aus. Meist kommen heute auch die großen dynamischen Ausbrüche ohne herrische, fordernde Feldherrngesten. Mit seinen weichen, rollenden und kreisenden Bewegungen zeichnet er — fernab jeglichen Taktierens — nur noch en miniature nach, was in den Proben bis ins Detail erarbeitet wurde. Es ist aufregend zu sehen, wie er bei der geringsten Schwankung oder eigentlich schon vorher, wenn er spürt, daß sich eine ergeben könnte, sofort, im Bruchteil einer Sekunde, den Bewegungsfluß seiner Hände mit einem klaren, taktierenden Schlag durchsetzt — mit einer in den Strom des Musizie- rens hineingegebenen Markierung, an der sich das Orchester orientieren kann.

Diese Souveränität der Orchesterführung hat sich Herbert von Karajan in einer äußerst zielstrebigen Dirigentenlaufbahn erworben. Er wurde am 5. April 1908 in Salzburg geboren, als Sproß einer kunstinteressierten Akademikerfamilie, die vor zweieinhalb Jahrhunderten aus Südosteuropa eingewandert war. Er studierte am Mozarteum seiner Geburtsstadt, an der Universität und Kunstakademie in Wien, wo Franz Schalk einer seiner Lehrer war. Die schon im Knabenalter begonnene Laufbahn eines Pianisten hat er schon früh zugunsten des Dirigierens aufgegeben. Von 1927 bis 1934 lernte er sein Handwerk von der Pike auf am Stadttheater in Ulm, wurde dann als jüngster deutscher Generalmusikdirektor nach Aachen berufen, dirigierte aber bald schon in Berlin Konzerte der Philharmoniker und an der Linden-Oper, wo er 1941 zum Staatskapellmeister ernannt wurde.

Nach dem Kriege wirkte er zunächst hauptsächlich in Wien, im Konzertsaal vor allem als Dirigent der Wiener Symphoniker, von 1956 bis 1964 auch als künstlerischer Leiter der Wiener Staatsoper. Vorher und nebenher bekleidete er führende Positionen an der Mailänder Scala, beim Philharmonia Orchestra in London, bei den Salzburger Festspielen, 1951 und 1952 auch in Bayreuth. In den letzten Jahren hat sich Karajan auf die Leitung der Berliner Philharmoniker konzentriert, die er 1955 als Nachfolger Furtwänglers übertragen bekam, auf seine Inszenierung bei den Salzburger Festspielen im Sommer (bei denen er auch Regie führt) und schließlich auf die von ihm 1967 ins Leben gerufenen Salzburger Osterfestspiele, die neben Konzerten vor allem der Erarbeitung von Richard Wagners Ring-Zyklus dienen, wobei die Berliner Philharmoniker riun auch zum Opernorchester avanciert sind. Die Osterinszenierung wiederholt Karajan im Herbst jeweils an der New Yorker Metropolitan Operą, sie wird auch auf Schallplatten aufgenommen, Karajans Arbeitsbereich wird durch Fernsehaufnahmen abgerundet, denen er sich mit besonderer Intensität widmet.

Der 60jährige Karajan zählt zur Weltelite der heutigen Dirigenten. Vorwürfe, die ihm gelegentlich gemacht werden — welcher große Künstler, der derart im Brennpunkt des öffentlichen Interesses steht, entging ihnen je? —, verflüchtigen sich allemal,, wenn man sie an der Ausstrahlung seiner faszinierenden Persönlichkeit mißt.

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