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Den Gürtel wieder enger schnallen

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Später als sonst gerät die Konzertszene der Salzburger Festspiele heuer in Bewegung. Die Wiener Philharmoniker sind durch die Lawine der Opernpremieren („Salome“, „Don Giovanni“, „Don Carlos“, „Titus“) ausgelastet; Kleines und Großes Festspielhaus sind blockiert; das Mozarteum durch die zuerst skandalumwitterte, dann recht harmlose Premiere des „Tod eines Jägers“ nicht im üblichen Umfang für Konzerte verfügbar. Also ballen sich die Konzertereignisse in den letzten vierzehn Tagen zusammen, wo Böhm, Karajan, Bernstein, Muti, James Levine ihre großen Shows abziehen.

Immerhin fielen aber jetzt ein paar Entscheidungen für die kommenden Jahre: So, daß das Festspielbudget 1978 auf insgesamt 180 Millionen Schilling hinaufschnellen wird, die Zuschüsse deshalb erhöht werden müssen und man wieder einmal den Gürtel enger schnallen muß. Ferner, daß 1978 als neue Opernproduktionen James Levine mit Jean-Pierre Ponnelle die „Zauberflöte“ herausbringen wird und daß zwar der „Rosenkavalier“ voraussichtlich von Günther Rennert inszeniert wird, Dr. Karl Böhm aber ihn nicht dirigieren wird, weil er Heber bei seinem „Don Giovanni“ bleibt. Und außerdem wird der italienische Komponist Luciano Bėrio eine Oper komponieren, die 1981 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt werden soll.

„Es wird ein Musiktheaterwerk, in dem es um das Eigenleben von Musik und Sprache gehen wird“, kündigte Bėrio bereits an, als er vor der Erstaufführung seines „Coro“ nach Salzburg kam. Und diese Aufführung im Mozarteum wurde zu einem Triumph für den Komponisten, für den Dirigenten Leif Segerstam, für ORF-Chor und -Orchester. 1976 war es in Donaueschingen aus der Taufe gehoben worden. Seither brachte das Werk in Venedig, Köln und Rotterdam viel Erfolg. Die Idee ist originell. Jeder der 40 Sänger sitzt neben einem Orchestermusiker, mit dem er wetteifert. Das ergibt ein ungewöhnlich vibrierendes Klangbild, differenzierte Techniken, schillernde Farben.

Bėrio hat 29 Abschnitte zu einem Einstundenwerk vereint. Volkslieder der Indianer, aus Afrika, asiatisches und europäisches Volksliedgut versinken in einem bunten Gewoge, allerdings ohne daß diese Lieder von Liebe, Arbeit, Tod hörbar zitiert würden. Sie geben nur die Stimmung an, verfließen ineinander, kreuzen einander. Und immer münden sie in ein elegisches Gedicht des Chilenen Pablo Neruda; in den „bleichen Tag… ohne Schellengeläute …, mit Blut auf den Straßen“. Poesie und Musik in faszinierendem Eigenleben.

Segerstam hat das Werk sehr korrekt erarbeitet. Die ORF-Chormitglie- der wetteifern als sichere Solisten. Die Musiker spielen sehr ausdrucksvoll, so daß die Eigenart des Stücks spürbar wird - das Flackern, Flimmern, Brodeln dieser Musik, die mit Gefühl und Leidenschaft gesättigte Atmosphäre. Das Salzburger Festspielpublikum war begeistert. Eine große Version des Stücks wird heuer beim „steirischen herbst“ uraufgeführt.

Das London Symphony Orchestra kam unter seinem Chef Andrė Previn und mit dem jungen Pariser Lokalmatador Michel Beroff, der Beethovens 2. Klavierkonzert spielte. Aber der sympathische junge Mann, den ich als empfindsamen Romantiker kenne und als soliden Interpreten neuerer Klaviermusik, begnügte sich da mit einer höchst oberflächlichen Deutung:

schlanke, elegant gespielte Läufe, ein etwas farbloses Adagio, ein entleertes Rondo, das in Einförmigkeit erstarrte … Auch Previn, der seine Musiker bei Beethoven - übrigens wie bei Haydns A-Dur-Symphonie - zu temperamentvollem Spiel anfeuerte, konnte Beroff nicht mitreißen.

Dafür gab es danach Rachmaninoffs II. Symphonie, einen modisch schwelgerischen Koloß voll von Filmmusikfarben und -effekten. Ein Werk, bei dem sich die Londoner, die in Salzburg ja ihre fulminanten Blechbläser, ihr frisches Holz, ihre kraftvollen Streicher zeigten, nach Herzenslust austoben konnten. Musik, als ob Westernhelden in die Schlacht ritten und über Kalifoniens Küsten die Sonne blutrot unterginge.

Ein vielbejubeltes Ereignis war der Liederabend der schwarzen Primadonna Leontyne Price, die ein Programm mit Schubert, Strauss, Du- parc, amerikanischen Liedern und Negro-Spirituals sang. Ein Paradefall, wie eine Sängerin sich durch fabelhafte kultivierte Gesangstechnik und Intelligenz die Qualitäten ihres Stimmaterials erhalten kann. Und im Modellieren feinster Aus drucks werte scheint sie manchmal unerreichbar. Ein Vorbild für alle jungen Sänger. Eine Frau von perfektem Stilgefühl, und vor allem eine der selten gewordenen großen Persönlichkeiten.

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