Der Sinn von Jubiläen

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Auch im Musikbetrieb jagt längst ein Jubiläum das andere. Doch das muss nichts Schlechtes sein. Gerade in einem Bereich wie der gegenwärtigen Musikindustrie, die immer wieder nach Argumenten und Anlässen suchen muss, um mit ihren Produkten auf sich aufmerksam zu machen und damit ökonomisch erfolgreich zu sein, kommen Jahrestage wie gerufen.

Anlässlich seiner jüngsten Wien-Auftritte feierten die Wiener Philharmoniker vor wenigen Wochen im Rahmen einer Feierstunde im Musikverein ihre fünfzigjährige Zusammenarbeit mit Lorin Maazel, nach Zubin Mehta der dienstälteste Dirigent des Orchesters. Dabei erinnerte Philharmoniker-Vorstand Clemens Hellsberg an die zahlreichen Höhepunkte dieser Zusammenarbeit und dass Maazel zu jenen Dirigenten gehört, die wiederholt in letzter Minute bereit waren für Kollegen einzuspringen und so philharmonische Konzerte zu retten.

Wiens Staatsoperndirektor Dominique Meyer nahm dieses seltene Jubiläum zum Anlass um mitzuteilen, dass er Maazel als Ehrenmitglied der Staatsoper vorschlagen und - wie es einem ehemaligen Staatsoperndirektor ebenfalls längst gebührt hätte - mit der Aufstellung einer Büste ehren werde.

Was der 82-jährige Maazel darüber dachte, konnte man nur aus dem freudig überraschten Gesicht des Maestros ablesen, kommentiert hat er diese Ehrungen nicht. Zu Wort war er schon im ersten Teil dieser Matinee gekommen. Sie galt der Erinnerung an den fünfzigsten Todestag eines wichtigen philharmonischen Dirigenten der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts: Bruno Walter. Maazel würzte dies mit persönlichen Reminiszenzen an den großen, von ihm zeitlebens verehrten Kollegen. Die Wiener Staatsoper wiederum inspirierte dieses Datum zu einer kleinen Ausstellung über ihren einstigen ersten Kapellmeister - der letzte Kapellmeister, den Gustav Mahler an die Hofoper geholt hatte.

1991 starben mit Claudio Arrau, Rudolf Serkin und Wilhelm Kempff drei der bedeutendsten Pianisten der jüngeren Vergangenheit. Weil man damals von der Krise des Plattenmarkts noch meilenweit entfernt war, gibt es eine Vielzahl von Tondokumenten, auf denen man die spezifische Kunst dieser drei, Maßstäbe setzenden, Interpreten nachhören kann.

Kempffs mitreißende Phrasierung

Vorigen Mai waren es zwanzig Jahre, dass der zuletzt schwerkranke Wilhelm Kempff in seinem langjährigen italienischen Domizil Positano 96-jährig verstarb. Daran erinnert jetzt - quasi mit "Jubiläumsverspätung“ - Kempffs einstige langjährige Plattenfirma, die Deutsche Grammophon. In der 33-teiligen CD-Box "Wilhelm Kempff. The Solo Repertoire“ präsentiert sie die Repertoireschwerpunkte dieses für sein Klangverständnis wie seine mitreißende Phrasierungsintelligenz hoch geschätzten Künstlers. Von Kempffs eigenen Bach-Transkriptionen über die Beethoven-Sonaten bis Chopin und Liszt reicht die Auswahl, darunter auch die legendäre Aufnahme ausgewählter Schubert-Sonaten aus den späten 1960er-Jahren, womit der deutsche Meisterpianist das Interesse wieder auf dieses damals wenig gepflegte Repertoire gelenkt hat. Ein Umstand, den man heute beinahe schon vergessen hat.

Das Cellowunder Rostropowitsch

Ob es ohne spezifischen Anlass - und nichts anderes ist ein Jubiläum - auch zu dieser fünfteiligen CD-Box gekommen wäre? Anlässlich des 85. Geburtstags des vor fünf Jahren verstorbenen Meistercellisten Mstislaw Rostropowitsch (1927-2007) sind, wie der Untertitel der Kassette verrät, seine "Complete DECCA Recordings“ herausgekommen. Damit sind längst vergriffene diskografische Schätze der Öffentlichkeit wieder zugänglich.

Neben der mehrfach preisgekrönten Einspielung der Beethoven-Cello-Klaviersonaten mit Swjatoslaw Richter als kongenialem Klavierpartner findet man darin jene Aufnahmen, die das Cellowunder "Slava“ mit seinem Freund, dem Komponisten Benjamin Britten, als Klavierpartner und Dirigent eingespielt hat ebenso wie die beiden Cellosuiten, die Britten für ihn komponiert hat.

Vielleicht hätte es im Falle der beiden Legenden Kempff und Rostropowitsch dieser Erinnerungsdaten gar nicht bedurft, um diese Neueditionen gut am Markt zu platzieren. Geschadet haben vorweg ins Auge springende Anlässe aber nie. Nicht zuletzt in einem Bereich wie der gegenwärtigen Musikindustrie, die immer wieder nach Argumenten suchen muss, um mit ihren Produkten gehörig auf sich aufmerksam zu machen und damit die Basis für den gewünschten wirtschaftlichen Erfolg zu legen. Ein runder Geburtstag kommt da wie gerufen. Vor allem, wenn man Einspielungen veröffentlichen will, deren Interpret, so berühmt er seinerzeit war, nur noch Kennern, gewiss aber nicht einer breiteren Öffentlichkeit bekannt ist. Die Rede ist von Kathleen Ferrier, der 1912 geborenen, 1953 an den Folgen einer Krebserkrankung früh verstorbenen englischen Altistin.

"Eine Stimme von seltener Schönheit und natürlicher Tongebung“, charakterisierte sie Bruno Walter, mit dem sie mit den Wiener Philharmonikern und Julius Patzak Mahlers "Lied von der Erde“ ebenso aufnahm wie Schumanns Liederzyklus "Frauenliebe und -leben“. Auch hier ist die DECCA in ihren Archiven fündig geworden, hat auf elf CDs alles, was die Ferrier einst für sie aufgenommen hat, gemeinsam mit einer DVD-Dokumentation auf den Markt gebracht - und versucht damit, große Vergangenheit wieder lebendig werden zu lassen.

"Das Tun interessiert, das Getane nicht“

Große Vergangenheit - daran erinnern auch zwei weitere Jubiläen, die dieses und nächstes Jahr hierzulande begangen werden: das zweihundertjährige Bestehen der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (siehe dazu auch das Interview mit Intendant Thomas Angyan auf der nächsten Doppelseite) und - ab kommender Saison - hundert Jahre Wiener Konzerthausgesellschaft. In beiden Fällen bedürfte es nicht dieser Jubiläen, um die Bedeutung dieser international höchst geachteten Kulturinstitutionen zu würdigen. Sie sind aber willkommener Anlass, so manches aus der jeweiligen Geschichte wieder in Erinnerung zu rufen, daraus Anregungen für die Zukunft zu gewinnen.

"Spectacle müssen sein“, dekretierte Maria Theresia 1759 ihrem obersten Hoftheaterbeamten, dem Grafen Durazzo, denn "ohnedem kan man hier nicht in einer solchen großen residenz bleiben.“ Man kann dies - die wenigen aufgezeigten Beispiele beweisen es - durchaus erweitern: Jubiläen müssen sein. Weil ohne sie so manches in Vergessenheit geriete, und weil sie Maßstäbe für ein künftiges Wirken setzen. Vorausgesetzt man versteht sie nicht als Einladung zu eitler Selbstbespiegelung.

Keine Gefahr, folgt man, wie bei so vielem anderen, auch hier Goethes Ratschlag: "Das Tun interessiert, das Getane nicht.“ Dann werden Jubiläen automatisch zu einer Standortbestimmung mit einem innovatorischen Ausblick auf die Zukunft. Darauf kann man nie verzichten.

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