"Ein Speer in die Zukunft"

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Neben dem vor 100 Jahren verstorbenen Mahler ist der vor 200 Jahren geborene Franz Liszt der bestimmende musikalische Regent des Jahres 2011.

Auch dieses Jahr gibt es genügend Anlässe, um an bedeutende Musiker zu erinnern, Komponisten wie Interpreten. Der Komponist Aribert Reimann, in der letzten Saison mit seiner "Medea" in der Wiener Staatsoper sensationell erfolgreich, wird 75, die von Gidon Kremer geförderte Sofia Gubaidulina 80, Hans Werner Henze, ebenso ungebrochen in seiner Schaffenskraft, 85 wie sein ungarischer Kollege György Kurtág. Der Pianist Alfred Brendel feiert zu Jahresbeginn seinen 80. Geburtstag (eine Würdigung wird in FURCHE Nr. 1/2011 erscheinen), der Dirigent Zubin Mehta wird Ende April 75, sein Kollege Riccardo Muti im Juli 70.

In das kommende Jahr fällt aber auch der 20. Todestag von Willi Boskovsky, der rekordverdächtige 25 Jahre das Neujahrskonzert dirigierte und zum Welterfolg führte, oder der 60. Todestag von Arnold Schönberg. Er hat nach seiner Emigration nicht mehr in seine österreichische Heimat zurückgefunden, dafür ist es gelungen, in Wien das Schönberg-Center zu etablieren. Eine, wenn auch späte, Wiedergutmachung für vieles, was der Mensch und Künstler Arnold Schönberg erleiden musste.

"Mahler und Amerika" im Konzerthaus

Auch Mahler musste seinen Anhängern immer wieder Mut machen, dass seine Zeit erst kommen werde. Er hat recht behalten. Nicht zuletzt dieses Mahler-Jahr, in dem sein 150. Geburtstag gefeiert wurde, wie auch das kommende, in das sein 100. Todestag (am 18. Mai) fällt, beweist es. Mahler ist nicht nur zu einer selbstverständlichen Größe im internationalen Musikleben geworden, mit seinen Werken lassen sich auch ideal Schwerpunkte oder Festivals programmieren. Das diesmal von der Konzerthausgesellschaft gestaltete Musikfest der Wiener Festwochen steht unter dem Motto "Mahler und Amerika" und avisiert Mahler-Symphonien mit den Wiener Philharmonikern, den Wiener Symphonikern oder dem San Francisco Symphony Orchestra. Schon im Jänner ist Thomas Hampson mit Mahler-Liedern im Musikverein zu Gast, wo in der Folge einige der Mahler-Symphonien von den Wiener Symphonikern, dem Los Angeles Philharmonic Orchestra, dem Gustav Mahler Jugendorchester oder dem New York Philharmonic Orchestra aufgeführt werden.

Widersprüchliches Liszt-Bild

Ob auch seine Zeit bald kommen wird? "Sie alle hängen sich an den Rockschoß eines berühmten Dichters (Dante, Shakespeare, Goethe, Byron) oder Malers (Kaulbach) und lassen sich, musikalisch selber flügellahm, von jenen weiterschleppen: das ist die Methode; den Mangel an musikalischer Gestaltungskraft, an großen, von innen heraus bewegten und bewegenden Ideen maskiren sie mit blendenden Effecten und allerlei generalisierendem Getriebe: das ist der Styl", konstatierte der der Neudeutschen Schule alles andere als positiv gesinnte, gefürchtete Kritiker Eduard Hanslick über die Tondichtungen von Franz Liszt 1885.

"Wir stellen fest, dass unter allen größeren Komponisten seiner und der vorhergehenden Zeit kein einziger war, auf den so viele verschiedene Einflüsse einwirkten", hob Béla Bartók 1934 anlässlich seiner Wahl zum Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften hervor und resümierte: "Das Wesen seiner Werke müssen wir in den neuen Ideen finden, denen Liszt als erster Ausdruck verlieh, und in dem kühnen Vordringen in die Zukunft."

Widersprüchlicher könnte die Beurteilung des vor 200 Jahre im heute burgenländischen Raiding geborenen Franz Liszt nicht sein. Sie ließe sich durch eine Vielzahl von Dokumenten noch weiter belegen. Ist es seine von Widersprüchlichkeiten geprägte Vita, die Tatsache, dass viele immer noch bei der Beurteilung seines Schaffens den berühmtesten Klaviervirtuosen aller Zeiten im Hintergrund haben? Haben sich bisher zu wenige Veranstalter und Interpreten für sein vielfältiges Schaffen in die Schlacht geworfen? Selbst eine so sachliche Lektüre wie die jüngst erschienene Liszt-Monografie "Franz Liszt, Leben und Werk" der ungarischen Liszt-Kennerin Klára Hamburger (Böhlau Verlag), die, gestützt auf zahlreiche Dokumente, Liszts Leben und Schaffen kenntnisreich Revue passieren lässt, liefert keine eindeutige Antwort.

Aber vielleicht liegt sie längst vor? "Man muss Liszt ernst nehmen, um ihn gut zu spielen", warnte und forderte zugleich Alfred Brendel, in den letzten Jahrzehnten einer der wichtigsten Vorkämpfer für Liszt, in seinem Essay "Der missverstandene Liszt" aus 1961. Schon zuvor liest man hier: "Wenn Werke Liszts den Eindruck der Hohlheit und Oberflächlichkeit machen, der Vorspiegelungen falscher Tatsachen, dann sind diese falschen Tatsachen gewöhnlich dem Interpreten zur Last zu legen, zuweilen dem (voreingenommenen) Hörer und am seltensten Liszt selbst" - über den immerhin ein Arnold Schönberg sagt, dass in "den vielen Anregungen, die er den Nachfolgern hinterließ", seine Wirkung "vielleicht größer" ist "als die Wagners".

Kühne und eigenwillige Konstruktionen

Das kommende Liszt-Jahr bietet Gelegenheiten genug, sich ernsthaft mit Liszt auseinanderzusetzen, nachzudenken über seine kühnen Harmonien, die eigenwillige Konstruktion seiner Werke. Denn wie charakterisierte er sich selbst: "Meine einzige Ambition als Musiker war und wird es sein, meinen Speer in den unendlichen Raum der Zukunft zu schleudern." Nachprüfen lässt sich dies etwa beim Liszt-Festival "Lisztomania 2011" im burgenländischen Raiding, das beginnend ab 27. Jänner Ausschnitte aus Liszts Klavier-, Orchester- und Vokalwerken präsentiert, wenn Daniel Barenboim unter Pierre Boulez (!) im Juni im Musikverein die beiden Liszt-Klavierkonzerte aufführt, bei den Festwochenkonzerten im Konzerthaus im Mai Bertrand de Billy die Wiener Symphoniker bei Liszts Faust-Symphonie dirigiert und Pierre-Laurent Aimard Klaviersolowerke von Liszt spielt. Ebenso bei den Salzburger Festspielen, wenn die Philharmoniker unter Mariss Jansons Lang Lang beim ersten Liszt-Klavierkonzert begleiten und Arcadi Volodos Liszts h-Moll-Sonate auf dem Programm hat.

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