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Immer wieder wird, in Romanen und Musikfeuilletons, der Komponist Franz Liszt als „Ungar“ oder als „ungariscner Patriot“ bezeichnet. Diese Apostrophierung dürfte gerade jetzt zur Feier der 40jährigen Zugehörigkeit seiner Geburtsheimat Burgenland zu Österreich und im Jahr der 150. Wiederkehr des Geburtstages des Komponisten deswegen nicht unwidersprochen bleiben, weil sie den Eindruck erwecken, Liszt wäre auch Nationalungar gewesen. Liszt war iedoch reindeutscher bzw. österreichischer Abstammung und konnte fast kein Wort ungarisch sprechen. Sein Vater Adam List (diese deutsche Schreibweise des Namens im Geburtsschein des Vaters wurde erst später magyarisiert, weil die Ungarn bekanntlich „s“ wie „sch“, jedoch „sz“ wie „s“ sprechen!) stammte aus dem rein deutschen Dorf Edelsthal und lernte erst auf dem Preßburger Gymnasium mit sehr mäßigem Erfolg Ungarisch. Die Mutter Anna Maria, geborene Laager, stammte sogar aus Krems, war Dienstmädchen in Wien und dann in Mattersburg, wo sie sich gleichfalls kaum nennenswerte ungarische Sprachkenntnisse erwarb. Der Geburtsort Liszts ist Raiding im Bezirk Oberpullendorf, wo sein Vater als Rentmeister eine Schäferei des Fürsten Esterhäzy leitete. Zu Hause, innerhalb der vier Wände ihrer Wohnung, unterhielten sich weder die Eltern Liszts miteinander, noch sprachen sie zu ihrem Kind Ungarisch. Vater Liszt sprach auch außer Haus sozusagen nur „dienstlich“ Ungarisch, war doch im Burgenland eh und je Deutsch die Umgangssprache. Der kleine Franz, der schon mit acht Jahren nach Preßburg und mit zwölf Jahren nach Wien kam, hatte daher gar keine Gelegenheit, ungarisch sprechen, geschweige schreiben zu lernen. Der Vater mußte sich als Schüler mit der ungarischen Sprache abquälen, dem Sohn blieb das erspart. Seine Muttersprache war die deutsche, wenn er auch später fast ebenso gut die französische Sprache beherrschen lernte. Er schrieb Deutsch ausschließlich in gotischer Schrift und bedankte sich auch, eben weil er der ungarischen Sprache nicht mächtig war, mit einem deutsch geschriebenen Brief 1871 für die Übertragung der Leitung des neugegründeten ungarischen Konservatoriums in Budapest.

Richtig ist freilich, daß Liszt dem Ungartum starke Sympathien entgegenbrachte, besonders im Vormärz der ungarischen Freiheitsbewegung. Das Sympathisieren mit den- liberalen und nationalen Unabhängigkeitsbestrebungen der Ost- und Südostvölker Europas war damals eine allgemeine Erscheinung, und im politischen Zeitgeist begründet. In ganz Deutschland und Westeuropa schwärmten die Gebildeten für ein freies Polen, Ungarn und Griechenland, für dessen Unabhängigkeit bekanntlich Lord Byron starb, ohne daß ihn deshalb jemand als Griechen bezeichnen würde. Diese Sympathie für das ungarische Volkstum, für. die sich Ungarn überschwenglich dankbar zeigte, berechtigt Ungarn aber keineswegs, Liszt als Magyaren anzusehen.

Leider wird nicht nur in ausländischen, sondern auch in deutschen Liszt-Filmen der Komponist immer wieder als Nationalungar dargestellt. Zuletzt 1959 in dem von der Columbia- Picture-Corporation unter dem ungarisch-amerikanischen Regisseur Charles Vidor in Wien gedrehten Film „Magische Flamme“ über das Leben des Komponisten. Interessanterweise “hat Vidor, obwohl selbst ungarischer Abstammung, als er auf die deutsche Herkunft Liszts aufmerksam gemacht wurde, sowohl an da ungarische als auch an das österreichische Unterrichtsministerium den Antrag auf Klärung der Nationalitätszugehörigkeit Liszts gestellt. Vidor erlebte weder diese Klärung noch das

Der alte Abb6 Liszt hilft seinem Schwiegersohn Richard Wagner ans Licht. Karikatur aus dem Jahr 1911 von Georges Villa

Ende der Dreharbeiten seines Films. Er starb vorher plötzlich an einem Herzinfarkt in seinem Wiener Hotel. Seither ruht in einer Kanzlei der Sektion II unseres Unterrichtsministeriums der Akt unter der Zahl 61.893.

Man darf bei Liszt Staatsangehörigkeit und Nationalität, also Volkszugehörigkeit, nicht verwechseln. Da das Burgenland bis 1919 ein Bestandteil des Königreiches Ungarn war, so war damit die ungarische Staatsangehörigkeit Liszts gegeben. Wenn Liszt dem LIngartum auch starke Sympathien entgegenbrachte, so ist das bei ihm als Sohn eines Gutsbeamten Esterhazys, als dankbaren Stipendiaten ungarischer Magnaten und ungarischen Staatsangehörigen durchaus verständlich. Auch überhäuften die Ungarn Liszt mit Ehrungen und nationalen Gunstbeweisen.

Österreich hat es leider von jeher stillschweigend geduldet, daß Ungarn Liszt für sich reklamierte und zu seinen Gedenktagen Doppelpengös bzw. Zwei fori ntstücke prägte und Sondermarken herausbrachte und der Welt immer wieder kundtut, daß Liszt ein Ungar sei. Die österreichischen Behörden haben es zuletzt erst vor wenigen Jahren geschehen lassen, daß aus der Wohnung des kürzlich 94jährig verstorbenen Vetters des Komponisten, Universitätsprofessor i. R. Dr. Eduard (Ritter von) Liszt, ein Klavier und mehrere wertvolle Gegenstände ins Liszt-Museum nach Budapest übersiedelten, nachdem sich Dr. Liszt vorher vergeblich bemüht hatte, die österreichischen Behörden dazu zu bewegen, den „Goldenen Salon“ seiner Wohnung, in der sich diese Gegenstände befanden, als eine Liszt-Erinnerungsstätte einzurichten.

Einwandfreie Beweise für Liszts deutsche Abstammung enthalten die Werke von Peter Rabe (1931) und Hans Engel (1937) über Liszt.

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