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Traumbild wacher Träume

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Zum 150. Geburtstag von Franz Liszt, am 22. Oktober 1961, wurde im Österreichischen Fernsehen ein von der Stephanus-Film im Aufträge des Unterrichtsministeriums hergestellter Liszt-Film gesendet, der demnächst in Kurzfassung auch in den Kinos zu sehen sein wird. — Das Erlebnis der Dreharbeiten in der Wohnung der letzten Trägerin des großen Namens im Wiener Schottenhof regte den Autor des Films zu den folgenden Reminiszenzen und Gedanken an.

Der Teppich des Salons ist mit einem Gewirr von Kabeln bedeckt. Behutsam führt der Regieassistent eine greise

Dame zu der Büste vor dem geöffneten Flügel. Ein halbes

Dutzend Scheinwerfer steht lauernd bereit. Der Regisseur gibt letzte Anweisungen. Dann ist es soweit. Grell leuchten die Jupiterlampen in den Raum, Farben leuchten, Damast und kostbare Tapeten glühen auf. „Achtung, Aufnahme 1” Die Kamera surrt los.

Die Frau, die im Aufleuchten der Scheinwerfer einen Augenblick lang ratlos zu sein schien, hat die Welt um sich vergessen. Ihre Hand streift eine Schleife glatt, richtet Blumen zurecht, und dann blickt sie ruhig und glücklich zu der Büste hinauf, die den Mann darstellt, in dessen Bann der Raum hier steht:

Franz Liszt.

„Danke, das genügt!” Der Regisseur sprach leise, fast behutsam. „Licht aus!” Der Salon im Wiener Schottenhof sinkt wieder in das vornehme Dunkel zurück, das nur durch die brennenden Kerzen vor dem Spiegel erhellt wird. Frau von Liszt schrickt ganz leicht auf. „Ad , Sie sind schon fertig — darf ich Ihnen noch etwas helfen…”

Das Team hat seine Arbeit beendet. Die Leute gehen, stiller als sie gekommen. Maria von Liszt bleibt allein zurück in einer Wohnung, die so groß, so reich und doch — für sie — leer geworden ist.

Eduard von Liszt, der in diesem Haus mit Franz Liszt, Richard Wagner, Bülow und Bösendorfer gelebt hatte, starb vor wenigen Wochen. Seine Frau Maria, heute die letzte Trägerin des Namens Liszt, steht noch ganz im Zeichen dieses tragischen Verlustes. „So vielen Menschen hat er geholfen …” Nachdenklich blickt sie auf ein Bild an der Wand, das Franz Joseph I. in ungarischer Galauniform darstellt.

„Einmal fragten die SS-Männer meinen Mann spöttisch, ob das sein Kaiser sei. Er antwortete: .Mein Kaiser und mein Königt “ Di Kerzen vot dem Spiegel am Kąpiin br nnąn langsam nieder. In der Dämmerung des Salons der Familie, bei der Franz Liszt die einzige wirkliche Heimstätte seines Lebens fand, wird die Legende um ihn zur zauberisch geformten Aussage, die im lebendigen Mosaik Franz Liszt erstehen läßt 1820 berichtet die Preßburger Zeitung in großer Aufmachung über ein Konzert des neunjährigen Wunderkindes Franz Liszt, daß „er allgemein Bewunderung erregte und zu den herrlichsten Erwartungen berechtige”. Verhältnismäßig früh vermerkte dann das Brockhaus-Konversationslexikon, 9. Band, Jahrgang 1846: „Künstler, Gelehrte, hohe Personen huldigten dem Abgott des Tages, und wohl mag es nur der Strenge des Vaters, der auf unablässige Übung drang, zuzuschreiben sein, wenn das geistige Sein des Knaben nicht geradezu vernichtet wurde.” Neun Jahre später schreibt Neumann: „Dabei sorgte der unablässig sich mühende Vater des jungen Künstlers dafür, daß der rauschende Beifall die junge Seele des geliebten Sohnes nicht betäube.”

Auguste Boissier erzählt über den Jüngling, der sich in Paris naSh dem frühen Tod des treubesorgten Vaters allein behaupten muß: „Liszt ist ein überragender Mensch — die Natur hat ihn in einem Anfall von Großmut erschaffen. In Paris, wo so viele Talente leuchten, scheint er mir durch seine Gaben, seinen Geist, ich möchte sagen durch seine Seele, auf dem Gipfel zu sein. Im Klavierspiel forderte er solch feine Unterschiede, eine solche Wahrheit des Ausdruckes, daß das Zergliedern eines Stückes mit ihm eine ungeheure Arbeit ist.”

Aus einem Brief an seinen Onkel Eduard v. Liszt: „Ich verspreche Dir, daß wir uns keine Schande machen und selbst die Erwartungen unserer Freunde übertreffen werden.”

Konzertbericht (Wien 1840): „Der Saal war überfüllt, der gesamte Hof, mit Kaiser Ferdinand an der Spitze, war anwesend. Liszt hatte ein wahres Riesenprogramm unter ungeheurem Jubel absolviert… Liszt mußte mit Anspannung seiner physischen Kräfte Zugabe auf Zugabe leisten… Im Saal herrschte eine unerträgliche Atmosphäre, niemand kümmerte sich darum. .Improvisieren! erscholl es plötzlich aus der Menge… Unbeschreiblicher Jubel folgte den genialen Improvisationen ..

Ferdinand Gregorovius erzählt, daß in Rom eine Amerikanerin den Überzug eines Stuhles, auf dem Liszt gesessen hatte, eingerahmt und an die Wand gehängt hatte, und er fügte hinzu: „Wenn solch ein Mann nicht die Menschen verachtet, muß man es ihm hoch anrechnen.”

Liszts Hände erspielten ein Vermögen. Für sich selbst nichts beanspruchend, gab er Unsummen für wohltätige Zwecke.

Richard Wagner über Franz Liszt in der „Dresdner Abendzeitung” vom 6. April 1841: „Also Liszt hat letzthin ein Konzert gegeben. Er allein spielte darin. Er hatte keine Kosten, nahm 10.000 Frank ein und gibt nächstens ein zweites Konzert. Welche Sicherheit! Welche Unfehlbarkeit! — Ich meine, in der Spekulation.”

Aus dem Buch „Franz Liszt” von Henry Tode: „Die Welt verlangt auch von ihm, was sie immer wieder und von allen Spielleuten verlangt hat — die Kunststücke des Virtuosen —, und er gab sie ihr mit verschwenderischen Händen. Staunen wir ihn an, als einen Improvisator ohnegleichen, der aus einer so unendlichen Fülle der Musik schöpft, daß alle Virtuosität nur als eine eben von dieser Fülle geforderte Fertigkeit, die sich von selbst versteht, erscheint, und all dieser Merlinsche Zauberspuk

Frsönliches Glück blieb ihm versagt. Die Gräfin DAgoult schenkte ihm drei Kinder, lebte zehn Jahre an seiner Seite und konnte Liszt, den Ruhelosen, doch nicht halten. Wehmütig vergleicht er in einem Brief den schiefen Turm von Pisa mit dem Leben, das wir, wie den Turm, mit Sicherheit aufzubauen beginnen, und, dennoch in schiefe Richtung gelangend, vollenden müssen. Und er fügt hinzu: „Doch vielleicht ist es besser und schöner so. als es in größerer Vollendung wäre.” Allmählich war aus dem Virtuosen Liszt der bahnbrechende Dirigent und Komponist Liszt geworden. Er, der als Schöpfer der symphonischen Dichtung angesehen werden kann und selbst schwer um die Anerkennung seines Werkes zu ringen hatte, stellte sein ganzes Ansehen in den Dienst anderer.

Aus einem Brief Liszts an Richard Wagner: „ … allein einem Freunde, wie Du es bist, zu dienen, ist nicht immer leicht und bequem, denn für diejenigen, denen es vergönnt ist, Dich zu verstehen, handelt es sich vor allem darum. Dir mit Verstand und Würde zu dienen.” In Weimar bringt Franz Liszt trotz ungeheurer Schwierigkeiten den „Lohengrin” zur Uraufführung. Die Aufführung war „vortrefflich und vollendet”, wie Wagner, der durch seinen Freund Karl Ritter genauestens informiert war, schrieb.

Aus einem Brief Wagners an Liszt: „Das muß ich sagen: Du bist ein Freund! Laß mich Dir nicht mehr sagen! Denn erkannte ich von je in der Männerfreundschaft das edelste und herrlichste menschliche Verhältnis, so lösest Du mir diesen Begriff in die vollste Wirklichkeit auf, indem Du mich nicht nur denken, sondern auch fühlen und greifen läßt, was ein Freund sei. Ich danke Dir nicht, denn dafür kannst Du Dir nur selber danken, und zwar durch die Freude daran, daß Du das bist, was Du bist. Es ist erhebend, einen Freund zu haben, aber erhebender, ein Freund zu sein!”

Was dem Gesamtbild des Wesens von Franz Liszt das Gepräge gibt, ist, daß die beiden Mächte, die sich in ihm beständig um seine Ruhe stritten — der Drang nach Aufgehen in Gott und der Zwang leidenschaftlicher Lebensbejahung —, annähernd gleich stark waren. Noch 1855 schrieb er: „Vom Künstler ist es doch unmöglich, das Gelübde der Enthaltsamkeit, der Armut und des Gehorsams zu verlangen, daß er der Liebe in irgendeiner Form sich versage, sei es in der sinn- oder seelenbewegten, der asketischen oder mystischen.”

Am 25. April des Jahres 1865 empfing Franz Liszt in der Kapelle des Kardinals Hohenlohe zu Rom die niederen Weihen. Sein Schritt wird yiflfach, falsch verstanden. „Mein geistliches Gewand ist in ei ’pį’ er, Entsagung, fycM der Begehrlichkeit oder irgendwelcher FŠėrečhnuhg’’, versichert er seiner treuen Freundin, der Fürstin Wittgenstein. Erschütternd aber ist eine Stelle aus einem Brief Liszts an die Fürstin aus dem Jahre 1882: „Ich bete unaufhörlich. Meine Seele ist von diesem Beten oft so müde, wie es die Knie sind, wenn man nie aufsteht. Aber bei Gott geht nichts verloren …”

Franz Liszt starb am 31. Juli 1886 in Bayreuth. Er hinterließ ein Bündel Wäsche und einen Schirm. Wenige Jahre vor Liszts Tod bemerkte die Fürstin einmal besorgt zu seinen Wiener Verwandten: „Er soll seine Jugend nicht verleugnen und nicht verbauert ausschen!’’ Doch vielleicht kam damals wieder etwas zum Vorschein, was an seine bäuerlichen Vorfahren erinnerte, vielleicht auch an den alten Bruckner, der ihn mit zu Grabe tragen half, der ihn — unbeachtet — so demütig ob seines geistlichen „Ranges” verehrte …

Zum Schluß ein Telegramm der k. u. k. Postverwaltung vom 20. April 1884 an die Familie Liszt im Schottenhof: „Herr Abbė hat mir verboten, Nachricht zu geben. Bitte daher Diskretion. Er kommt heut’ abend an. Hochachtungsvoll Bösendorfer.”

Franz Liszt war bescheiden gewesen. Und wenn auch Franz Grillparzers Wort an den großen Musiker, „So zeigst Du uns, ein Traumbild wacher Träume, das Bild des Glücks, das nicht mehr weilt hienieden”, längst erfüllt ist — Franz Liszts Werk harrt doch noch der rechten Würdigung.

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