Wenn Unmögliches wahr wird

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Am 5. Jänner feiert der im nordmährischen Wiesenberg geborene, seit den siebziger Jahren in London lebende österreichische Pianist Alfred Brendel seinen 80. Geburtstag. Ein Porträt.

Meist kosten Künstler ihren Ruhm bis zum letzten Atemzug aus, müssen sich dann zuweilen sagen lassen, dass es besser gewesen wäre, am künstlerischen Zenit aufzuhören. Alfred Brendel hat sich darauf erst gar nicht eingelassen. Mit 75 wollte er sich zurückziehen. Freunde überredeten ihn, zwei Jahre anzuhängen. Im Dezember 2008, nach zwei Auftritten im Wiener Musikverein mit den Wiener Philharmonikern unter Sir Charles Mackerras mit Mozarts Es-Dur-Konzert KV 271, war endgültig Schluss.

Nach sechzig Jahren auf dem Podium wollte er sich anderen Aufgaben widmen. Tatsächlich ist er dort geblieben, nur in einer anderen Konstellation: Nicht mehr der Pianist Alfred Brendel steht hier, sondern der Rezitator eigener, skurril-köstlicher Gedichte sowie, zusammen mit Pianisten wie Pierre-Laurent Aimard oder Kit Armstrong, der geistvoll-brillante Nachdenker über Musik.

"Seine Kühnheit überrascht uns"

"Nachdenken über Musik" ist auch der deutsche Titel seines in den siebziger Jahren erschienenen Buches, das zuerst in London unter "Musical Thoughts & Afterthoughts" herausgekommen war und tiefsinnige Gedanken über jene Komponisten enthält, denen sich der Klaviervirtuose besonders verpflichtet fühlt: Beethoven, Schubert, Liszt, Busoni. Zwei Beiträge widmet er seinem verehrten Lehrer Edwin Fischer. Eine willkommene Gelegenheit, über verschiedene Psychologien von Pianisten zu räsonieren und die eigene Vorstellung von genialem Klavierspiel auszubreiten: "Ein Klavierspiel, das richtig und kühn zugleich ist. Seine Richtigkeit gibt uns zu verstehen: so muss es sein. Seine Kühnheit überrascht und überwältigt uns mit der Erkenntnis: was wir für unmöglich gehalten hatten, wird wahr."

Solch perspektivischer Sätze wegen wurde Brendel bald als Philosoph unter den Pianisten apostrophiert, auch wenn er davon bis heute nichts wissen will. Dass er wie nur wenige Interpreten fähig ist, druckreif zu formulieren, schwierige Sachverhalte verständlich und plastisch darzustellen, findet sich freilich in seinen weiteren Publikationen bestätigt. Darin setzt er sich etwa mit Mozart, zu dessen Sonaten er erst in den letzten Jahren näher hingefunden hat, und mit Schumann auseinander oder begründet im Detail, was er an Artur Schnabel, dem ersten Pianisten, der alle Beethoven-Klaviersonaten aufgenommen hat, schätzt oder ihm missfällt.

Große Affinität zu Franz Liszt

Brendel hat keineswegs eine Weltkarriere im Rekordtempo absolviert, sondern war ein Spätstarter. Seine Vorfahren stammen aus Deutschland, Österreich, Italien und Slowenien. Geboren wurde er in Nordmähren, dem heute tschechischen Olomouck´y kraj. Sein Vater arbeitete als Ingenieur, Geschäftsmann und Hotelmanager auf der Insel Krk. Dort durfte der junge Brendel den Plattenspieler bedienen, Operetten mit Jan Kiepura auflegen und mitsingen. Später ging der Vater als Kinodirektor nach Zagreb. Damals wurde Brendels Leidenschaft für Filme, von denen er heute eine kleine Sammlung besitzt, geweckt. Sollte er nicht mehr reisen, Theateraufführungen und Ausstellungen besuchen können, würde er diese Kollektion vergrößern. In Zagreb erhielt Brendel seinen ersten Klavierunterricht. Den setzte er nach 1945 in Graz bei Ludovika von Kaan, einer Schülerin von Bernhard Stavenhagen, der wiederum ein Liszt-Schüler war, fort. Muss man da noch fragen, woher Brendels lebenslanger Einsatz für diesen Komponisten herrührt, von dem er einige Maßstab setzende Einspielungen vorgelegt hat, darunter die h-Moll-Sonate oder die beiden Klavierkonzerte?

Komplettiert hat Brendel seine Studien bei Artur Michl, einem Organisten und Komponisten. Getreu seinem Motto, dass ein Lehrer auch zu viel Einfluss nehmen könnte, bildete er sich in der Folge autodidaktisch fort. Mit 17 begann er seine Konzertlaufbahn. Ausschließlich Fugen zierten das Programm seines ersten Konzerts in Graz, auf dem auch eine eigene Sonate stand. Daneben las er viel und malte. 1949 erreichte er beim renommierten Busoni-Wettbewerb in Bozen den vierten Platz. Anschließend besuchte er Meisterklassen bei Paul Baumgartner, dem Busoni-Schüler und Schönberg-Vertrauten Eduard Steuermann und Edwin Fischer.

"Abenteuerliche Dimensionen"

Ein Beethoven-Abend in der Londoner Queens Hall brachte den Durchbruch. Tags darauf bekam der aufstrebende Pianist drei Offerte von Plattenfirmen - der Beginn einer beispielhaften Plattenkarriere. Erster Höhepunkt war die Gesamteinspielung der Klavierwerke Beethovens in den sechziger Jahren. Heute ist Brendel, dessen Repertoire von Bach bis zur Zweiten Wiener Schule reicht, Liederbegleitungen miteingeschlossen, der am besten dokumentierte Pianist. Viele der Einspielungen wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet.

"Aber dann geschah etwas Ungewöhnliches, etwas, ehrlich gesagt, Unerwartetes", beschreibt Joachim Kaiser in seinem Pianistenbuch den plötzlichen Qualitätssprung, der den bis dahin als "interessant" geltenden österreichischen Pianisten in den siebziger Jahren vom "Geheimtipp" zum Künstler von Weltformat werden ließ: "Seinem Spiel wuchsen abenteuerliche Dimensionen des Ausdrucks, der Versenkungskraft, der Musikalität zu."

Neben Beethoven, dessen Sonaten und Konzerte er immer wieder zyklisch aufführte, Mozart-Konzerten, seinem nimmermüden Einsatz für Liszt, aber auch für so manchen Busoni, seinem besonderen Faible für Haydn wurde Brendel zu dem Schubert-Interpreten schlechthin. Niemand vermochte wie er in dessen Tiefen einzutauchen, das Geheimnis von dessen unendlicher Melodie so zu dechiffrieren. Mit seinem weltweit präsentierten Zyklus der Schubert-Klavierwerke 1822-1828 hat er nicht nur Geschichte geschrieben, sondern zahlreiche Kollegen animiert, sich gleichfalls für Schubert einzusetzen. Wie sorgfältig, wissenschaftlich akribisch Brendel sich auf diese Aufgabe vorbereitet hat, erkennt man an seinem Aufsatz "Schuberts letzte Sonaten", den er in seinem Band "Musik beim Wort genommen" publizierte.

Dem Klavier hat Brendel Ade gesagt, nicht dem Nachdenken über Musik. "Fingerzeig", "Kleine Teufel", "Störendes Lachen während des Jaworts", "Spiegelbild und schwarzer Spuk" sind einige Titel der Gedichtsammlungen, die er bisher vorgelegt hat. Namen, hinter denen man unschwer die eine oder andere Erfahrung aus seinem Solistenleben erkennt, die aber ebenso auf zahlreiche Werke anspielen, mit denen sich Alfred Brendel zeitlebens in wahrhaft philosophischer Breite - und damit stilbildend - auseinandergesetzt hat. Wer sich so mit Musik einlässt, wie er es getan hat, denn lässt sie eben lebenslang nicht los.

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